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Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Lachauer
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der kein «s» herausgebracht hat. Der «Onne» sagte statt «Sonne» und deswegen ausgelacht wurde. Ein kleines, verscheuchtes Tier, das am Rande der Bank kauerte und monatelang trotzig schwieg. Bis Konrad ihm ein Stofftier mitgebracht hat. «Wir machen Unterricht, und du, Klausi, sprich du mit dem Bärle.» Ganz allmählich ist der Bub aufgetaut. «Jetzt lies deinem Bärle etwas vor. Übe die Buchstaben mit ihm.» Nicht lange, und er begriff. «Bärle, sag ‹Sonne›.» Am Ende der ersten Klasse war Klausi die frechste Quasseltasche in der Schule. Den Schulrat hat er angesprochen: «Wer bischt denn du?»
    In der Wohnung hab ich mich oft einsam gefühlt. Der viele Platz, das war einerseits schön, ich konnte singen, Quatsch machen, das Radio laufen lassen. In Konrads Abwesenheit hab ich die Musik aufgedreht, zu Edith Piaf, «Je ne regrette rien», bin ich herumgetobt. Doch in der ersten Zeit unserer Ehe hab ich fast täglich weinen müssen, nicht aus Heimweh nach Freiburg, sondern weil ich Konrads ruppige Art, sein lautes Reden nicht ertragen habe. Überhaupt diese Nähe zu jemand, dieses In-einem-Zimmer-Schlafen. Mir wären getrennte Schlafzimmer lieber gewesen, doch das ist eben so, wenn man heiratet, eine Ehe hat auf diese Weise stattzufinden.
    Unsere grundverschiedenen Lebensformen mussten zusammengebracht werden, darum hatten wir vor der Hochzeit beschlossen: vorerst kein Kind. Im letzten Freiburger Jahr war ich schon auf die Fiebermesstour gegangen, nach der Methode von Doktor Knaus, und wir hatten festgestellt, mein Zyklus ist sehr regelmäßig, und entsprechend unseren Hochzeitstermin in die unfruchtbaren Tage gelegt. Konrad las das Thermometer ab und führte brav die Tabelle. «Ab 20. Juni geht’s wieder.» Selten hat er vergessen, die frohe Botschaft rechtzeitig zu verkünden.
    Manchmal haben wir faule Witze darüber gerissen: Endlich sind wir verheiratet, und jetzt müssen wir immer noch «knausern». Aber es ist wirklich absolut nötig gewesen. Wenn ein Kind im Bauch lebendig wird, spürt es, wenn die Eltern sich zanken, du kannst ihm nichts verheimlichen. Erst mussten wir wissen, ob unser beider Liebe es tragen kann.
    Und wenn nicht? Wir fragten uns das tiefernst, in dem klaren Bewusstsein, dass wir viel Schweres hinter uns hatten und möglicherweise auch vor uns. In diesem, man kann ruhig sagen, «heiligen Ernst» waren Konrad und ich uns ähnlich. Über unseren Betten hing ein Wandbild – ein Stück graues, robustes Leinen, das wir zur Hochzeit, zwecks Ermutigung, mit einem Motiv aus Konrads geliebter Seewald’schen Bilderbibel hatten besticken lassen: Jesus wandelt auf dem See Genezareth und streckt dem untergehenden Petrus die Hand entgegen. Darunter, in gotischer Schrift: «Herr, rette mich!» Heute hat das Tuch mit der dunkelgrünen Stickerei seinen Platz in Konrads Zimmer. Unzählige Male hat er mir in fünfzig Jahren diese Geschichte aus Matthäus 14 vorgelesen:
    «Als ihn die Jünger auf dem See wandeln sahen, gerieten sie in Schrecken und sagten: ‹Es ist ein Gespenst.› Und aus Furcht schrien sie laut auf. Sofort redete Jesus sie an und sagte: ‹Mut! Ich bin’s. Fürchtet euch nicht.› Da antwortete ihm Petrus und sagte: ‹Herr, wenn du es bist, so heiße mich zu dir über das Wasser kommen.› Er sprach: ‹Komm.› Da stieg Petrus aus dem Boote und schritt über die Wellen dahin und kam bis zu Jesus heran. Als er aber den Wind wahrnahm, geriet er in Furcht, und als er anfing unterzusinken, schrie er laut: ‹Herr, rette mich!› Sofort streckte Jesus seine Hand aus, ergriff ihn und sagte zu ihm: ‹Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?› Und als sie ins Boot gestiegen waren, legte sich der Wind. Die aber im Boote fielen Jesus zu Füßen und sagte: ‹Du bist wahrhaftig Gottes Sohn.›»
    Unser Schiff konnte sinken im Sturm. Darüber haben wir viel nachgedacht, meistens jeder für sich – ein stillschweigendes Einverständnis. Was nicht heißt, dass wir nicht voller Hoffnung gewesen sind. Wir haben die allerverrücktesten Pläne gemacht. Unter anderem haben wir überlegt, uns an ebendiesem stürmischen See Genezareth niederzulassen, unser Schwarzwalddorf gegen das einfache Leben in einem Kibbuz einzutauschen. Seit Konrad im Lehrerverein von dieser Möglichkeit gehört hatte, wollte er es sehr. Um zum alten Hebräisch, das er verehrte, das moderne Ivrit zu lernen, einzutauchen ins Heilige Land, das gewissermaßen seine eigene theologische Vergangenheit war, hätte er für

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