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Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Lachauer
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Was hätte sie ganz allein auf dem Riesenhof auch anderes tun sollen als picheln.
    Alles in allem ein Dutzend Außenseiter, die sich unregelmäßig trafen. Einzeln durchaus zu ertragen, als Gruppe ein Graus. Eine kleine Welt voll Klatsch, Rivalität und Eitelkeit. Gescheite Leute an sich, die im Dorf die Stille gesucht hatten und nun gestritten haben, wer hier die erste Geige spielt. «Ach, Frau Weingartner, wir sind uns doch so nahe», buhlten sie. Was soll ich mit euch alten Schachteln, dachte ich, euren festgefahrenen Ansichten. Hemingways Tod wurde damals gerade bekannt, weiß ich noch, 1961, während der Kaffeestunde bei «Frau Pfarrer». Sie zogen über ihn her, über «diesen Mann, der sich seines Lebens entledigt» habe. «Das ist Sünde!», geiferte die alte Pfarrersgurke. Hemingway war eines meiner Idole, ich verteidigte ihn mit Verve. Wenn einer sich bedrängt fühle von sich und dem, was auf der Welt geschieht, und auch noch trinkt, dann könne doch der Herrgott ein Auge zudrücken und ihn zu sich nehmen.
    Mein Zorn war größer als meine Einsamkeit – dann lieber keine Geselligkeit. Bei den unvermeidlichen Begegnungen am wöchentlich eintreffenden Gemüsewagen ließ mich die Pfarrersfrau jedes Mal ihre Bosheit spüren.
    «Schauen Sie, Frau Weingartner! Haben Sie schon gesehen, wie reizend Frau General ihre Fenster mit Sternchen geschmückt hat?»
    «So weit kann ich nicht gucken!»
    Sie zur Gemüsefrau: «Die will nicht so weit gucken. Die könnte schon.»
    Die Einzige, die nicht im illustren Tonberger Damenzirkel verkehrt hat, war eine Russin, eine geheimnisvolle Person, die unter den Bauern ein hohes Ansehen zu genießen schien und über deren Herkunft allerhand Gerüchte umliefen. Galina Lindle hieß sie, eine offenbar alleinstehende Frau von etwa Anfang siebzig. Aus der Ferne hatte ich hier und da ihr weißes Kopftuch leuchten sehen und ihre eigenartige Sprache vernommen, ein schönes Hochdeutsch mit starkem Akzent und diesem typischen rollenden «R», das ich aus dem Krieg, von meinem blonden Freund Nicki, kannte. Irgendwie hat sie mich angezogen. Nachdem der Winter endgültig vorüber war, habe ich mehrfach den großen Schwarzwaldhof, in dem sie lebte, umkreist, mich wie zufällig dort an den Zaun gelehnt. Mir schien, dass sie mich von drinnen beobachtete. «Wir wollten einander begegnen, Magdalena», hat sie später einmal zu mir gesagt.
    An einem Tag im Mai sind Konrad und ich durch den Wald spaziert, und plötzlich habe ich ein leises Tapp-Tapp gehört.
    «Vor uns ist die Frau Lindle», sagte Konrad.
    «Mensch! Wie weit ist sie denn weg?»
    «An der Tannenschonung ist sie jetzt.»
    Wir beschleunigten unsere Schritte, und auch sie ging schneller. Die Entfernung zwischen uns hat sich nicht verringert. Nach zwei Wegbiegungen verlor Konrad sie aus den Augen, erst hinter der Tannenschonung, auf der hellen Lichtung, hat er sie wiederentdeckt. Sie wartete auf uns und sprach uns freundlich an. Ich brachte kaum ein Wort heraus, nickte nur heftig, als sie uns einlud: «Besuchen Sie mich doch einmal.» Mein Herz hat geklopft vor Glück. «Wie sieht sie denn aus?», fragte ich Konrad abends vor dem Schlafengehen. «Sie hat Augen wie zwei große Perlen.»
    Als Erstes hat mir Frau Lindle ihren großen Ofen gezeigt. Mich ermuntert, die Kacheln – sie waren lichtgrau – zu betasten und, als sie meine Neugier bemerkte, zu probieren, wie es sich auf der Ofenbank liegt. «Lassen Sie sich Zeit, Kindchen.» An den Wänden, bis hoch hinauf zur Decke, eine unendliche Menge von Büchern, viele russische Autoren, Franzosen auch, Amerikaner. Unter dem Fenster ein vollbepackter und, wie ich mit den Händen spüren konnte, wohlgeordneter Schreibtisch. Daneben ein gemütlicher, ausladender grüner Sessel – das war in Zukunft mein Platz. «Darf ich fragen, wo Sie herkommen, Frau Lindle?» Ohne lange Umschweife erzählte sie von St. Petersburg. Mit siebzehn Jahren sei sie «mit einer Nähmaschine» nach Deutschland gekommen, aus Liebe zu einem Arzt. Noch vor dem Ersten Weltkrieg war das, den «blutigen Sonntag 1905», das Vorspiel zur Oktoberrevolution, hätte sie noch als junges Ding zu Hause erlebt. «Du musst nähen und kochen können, Galina», zitierte sie ihre Mutter, die sie anfangs nicht hat ziehen lassen wollen. «Wenn du in ein fremdes Land gehst, ist dort niemand, der das für dich tut.» Aus verschiedenen Andeutungen konnte man auf höhere Kreise schließen. «Also, die Zarentochter bin ich ganz bestimmt

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