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Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Lachauer
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sind «vernünftig». So einem hörten mitunter sogar die größten Dickschädel zu. In dem einen oder anderen Fall konnte Konrad einen Bauern sogar überzeugen, den Sohn auf eine weiterführende Schule zu schicken.
    In Konrads Abwesenheit habe ich weiter das Dorf und seine nähere Umgebung erkundet, Quadratmeter für Quadratmeter, das Gras der mageren Wiesen, die verschiedenen Moosarten unter den Bäumen. Ich habe die Sonnenhänge entdeckt und die schattigen Ecken, wie extrem unterschiedlich dort die Vegetation ist, selbst die Erde und ihr Duft. Modergerüche zum Beispiel in unendlichen Variationen – am Nordhang und in der Nähe des Baches, der da schäumend und lärmend hinunterschoss, waren sie reich vertreten. Unglaublich, was die permanente Feuchtigkeit und alles, was da verrottete, sich zersetzte, in Fäulnis überging, verschimmelte und verweste, an Aromen hervorbrachte – feinwürzig wie die köstlichsten Pilze bis hin zum Ekelerregenden.
    Es wurde Herbst. Kartoffelzeit, wieder Ferien, diesmal von einer fünftägigen Regenperiode unterbrochen. Das heißt, die Kinder kamen vom Acker zurück, wieder in die Schule, um bei gutem Wetter wieder abberufen zu werden. Wieder verschwand Konrad, derweil ich im eigenen Garten die Knollen ausgemacht habe. Kaum lohnend, sie waren klein geblieben, und so saß ich auf der Bank und hielt meine Nase in den von Kartoffelfeuern durchtränkten Wind.
    Schon kurz darauf, im Oktober, brach der Winter ein. Die Bäume waren noch voll belaubt. Die dicke Linde gegenüber vom Schulhaus war gelb, und drum herum der erste Schnee, ein wunderbarer Farbkontrast, Augenfutter für mich.
    Und bald war das Weiß überall. Es deckte Häuser und Matten zu, selbst den kleinsten Zaunpfahl, alle meine gerade mühsam gewonnenen Markierungen waren plötzlich weg. Straßenränder, Feldwege, für mein schwaches Auge, für die Füße, die Nase war alles ohne jede Kontur. Und keine Sonne mehr; drei Monate lang, bis Februar, kam sie nicht über den Berg. Konnte man diesen Winter mögen?
    Das einzig Gute daran war, dass ich die Granittreppe nicht putzen musste, sonst wäre sie noch mehr vereist. Ein Großteil des Tages verging mit Heizen: Holz schleppen, von Ofen zu Ofen rasen, bei Nummer neun war Nummer eins bereits wieder ausgebrannt. Wenn wir richtig eingeschneit waren und niemand mehr zum Einkaufen ins Tal gelangen konnte, gab es nur Kartoffeln und Geräuchertes vom Schwein. «Fertig ab», so Konrads Kommentar, als gebürtiger Schwarzwälder war er an solche Sachen gewöhnt. «Überleberles spielen» hab ich es später genannt.
    Im Winter dauerte Konrads Schultag noch länger als sonst. Inzwischen hatte er die acht Jahrgänge geteilt, morgens die Großen, mittags die Kleinen. Nach Schulschluss ist er schnell rauf zu mir, hat Anorak und Mütze angezogen, bei hohem Schnee brauchte er auch Ski, und ist mit den Kleinen los in den sinkenden Nachmittag. Eine gute Stunde Wegs begleitete er sie, so lange, bis die Eltern den Kindern entgegenkamen, zurück wieder eine Stunde. Manchmal konnten die weit entfernt wohnenden Schüler gar nicht bis Tonberg durchkommen, dann waren nur die aus der nahen Umgebung im Unterricht. Der Schultag begann für sie mit Holzspalten, derweil Konrad mit dem Briefträger, dem Einzigen, der meist noch aus dem Tal zu uns gelangte, ein Schnäpschen trank. Irgendwann im Dezember trat der Schneepflug in Aktion, von zwei braunen Ochsen gezogen. Man musste ihn ordentlich beschweren, deswegen hockten hintendrauf ein paar alte Männer – dick eingemummelt, Pfeife rauchend. Ein vergnügliches Winterbild, das sich mir für immer eingeprägt hat.
    Hin und wieder wurde «Frau Lährer» eingeladen, zum Kaffee unter Frauen, zu «Frau Doktor» oder zu «Frau Pfarrer». Sie waren Fremde, die nicht zum Dorf gehörten und sich wie wir arrangieren mussten: ein pensionierter Arzt mit Frau, von denen es hieß, sie seien große Nazis gewesen und hätten sich daher hierher verkrümelt, und ein evangelischer, wegen seiner Gebrechen dienstuntauglicher Pfarrer mit Gemahlin. Vor Jahren schon hatten sie in Tonberg leerstehende Höfe gekauft. Oberhalb der Schule lebte noch ein sehr berühmter General samt «Frau General», und außerhalb des Dorfes, in einem seltsamen Haus, dessen Türen und Fenster über und über mit Schnitzereien verziert waren, ein bekannter Rennfahrer, der allerdings nur selten da war. Eine verarmte alte Tante hütete dieses Anwesen. Das war ein toller Vogel, ein total versoffenes Genie!

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