Magdalenas Garten
der flache Bau wie ein kürzlich eröffneter Getränkemarkt aus. Sie musste ihren Personalausweis abgeben und bekam einen Zugangscode, dann durfte sie sich durch Spielautomaten hindurch in den hinteren Teil
des Cafés begeben und einen der zehn Computer aussuchen, die in einer Reihe auf einem Wandbrett standen. Sie wählte den am weitesten links, um möglichst viel Raum zwischen sich und den Araber zu bringen, der vor seinem Bildschirm lautstark in seiner Sprache gestikulierte.
Magdalena loggte sich ein und roch widerstrebend an dem schmierigen Schaumstoff des Kopfhörers, bevor sie ihn aufsetzte. Sie gab »Antonello Pucciano« ein, die Suchmaschine zeigte innerhalb von 0,26 Sekunden die Ergebnisse eins bis zehn von ungefähr 78 000 Einträgen. Stivali dâOro wurde immer in einem Zug mit seinem Namen genannt. Sogar auf Deutsch gab es einen Eintrag: »Antonello Pucciano, geboren 14. 04. 58 in Florenz, ist ein italienischer Liedermacher und Sänger. Er nahm 1980 zum ersten Mal am San-Remo-Festival teil und erreichte mit seinem Lied âºStivali dâOroâ¹ Platz 2. Danach trat er noch einige Male auf, zog sich aber nach wenigen Jahren aus dem Show-Leben zurück. Er schreibt und komponiert auch heute noch zahlreiche Lieder für seine Kollegen.«
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»Noch nicht«, flüsterte Magdalena, »noch nicht â¦Â« San Remo 1980, mein Geburtsjahr!, dachte sie und rutschte aufgeregt vom Hocker, ihre Knie waren weich und zittrig wie nach einer langen Wanderung. Langsam kletterte sie wieder auf den Sitz und prüfte die anderen Einträge auf der Seite. Antonello, der Sänger; Antonello in San Remo; sogar im italienischen Wikipedia war er zu finden. Von seinem Tod war nichts erwähnt, er lebte also noch und war mittlerweile über fünfzig. Dann erst klickte Magdalena beinahe ehrfürchtig auf das einzig angezeigte Video, und als der typische schwarze Rahmen bei YouTube erschien, vergaà sie einzuatmen. Zwei verbogene Palmen und eine blinkende Sonne, anscheinend das Logo von San Remo, schmückten eine silberne Bühne, dann kam verwackelt und in
schlechter Qualität der Schriftzug »XXX. Festival di San Remo« ins Bild, das unsichtbare Publikum klatschte, und die Kamera schwenkte hinunter auf einen weiÃen Flügel. Daran saà ein dünner junger Mann im weiÃen Anzug und mit Sonnenbrille, aber noch bevor sein Gesicht genauer ins Bild kam, wurde auf seine Hände umgeschnitten und noch näher auf seine Finger gezoomt, die langsam von einer Taste zur nächsten wanderten und sie dabei kaum zu berühren schienen. Die Umrisse waren ausgefranst, die Farben schwammen flackernd ineinander, Antonello war jetzt wieder ganz zu sehen, er sah aus wie ein Geist, nur der Colabecher auf dem Flügel gab ihm etwas Weltliches.
Das Klavierthema klang schüchtern, sein Kopf mit den dunklen, leicht welligen Haaren beugte sich vor, und mit hoher, aber kräftiger Stimme begann Antonello genauso leidenschaftlich wie am Tag zuvor in der Bar von dem Mädchen zu singen, das Hand in Hand mit ihm am Strand entlangging und goldene Stiefel trug. Die Tonqualität war grauenhaft, um den Text besser verstehen zu können, presste Magdalena die klebrigen Kopfhörer fester auf ihre Ohren. »⦠und der Wind, der durch dein blondes Haar fuhr, duftete noch lange nach dir«, klagte Pucciano, dann kam noch irgendwas mit Florenz und Bahnhof, was Magdalena nicht verstand. Die Klaviermusik wurde jetzt von Geigen unterstützt, die Melodie wiederholte sich eindringlich, und Magdalena versuchte die Gänsehaut zu ignorieren, die ihren Körper vom Nacken abwärts bis hinunter zu den Waden überzog. Wieder und wieder lieà sie das Video laufen und starrte in seine Augen hinter der getönten Pilotenbrille. Er sah ihr überhaupt nicht ähnlich und dem Jungen auf dem Foto auch nicht. Jedes Mal verstand sie ein wenig mehr von den Worten aus Antonellos Mund. Es gab einen »ersten Kuss«, einen »Fotoautomaten am Bahnhof« und im Refrain »Tage, die vergangen sind«, ein »fernes Land« und die Aufforderung an das Stiefelmädchen,
»ihnen nichts zu erzählen«. Das Lied erwischte etwas in ihr, sie spürte es in ihrer Brust, gebannt schaute sie auf den Bildschirm, sie schluchzte und lachte schniefend, das ferne Land war natürlich
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