Magdalenas Garten
Vittorio, ein Mann mit einem völlig kahlen
Kopf und beunruhigend hellen Augen, der in Marina di Campo ein Lokal besaÃ.
»Kinder, jetzt müssen wir improvisieren!«, rief Nina. »Zu essen gibtâs reichlich, aber für uns alle ist die Terrasse zu klein!« Matteo, der inzwischen in der überfüllten Küche eingetroffen war, schlug vor, zwei Tische aus dem Nachtclubgebäude unter ihnen zu holen und eine Tafel auf der sauber gefegten Tanzfläche aufzubauen. Magdalena wurde von Nina angewiesen, dort unten schon mal den Aperitif auszuschenken, »die nerven mich hier in der Küche«, flüsterte sie ihr verschwörerisch zu. Ich bin auÃer Nina die einzige Frau, dachte Magdalena und gab sich Mühe, den WeiÃwein mit einem Spritzer Aperol so zu färben, dass er die gleiche Tönung bekam wie die Kerzen in den Windlichtern auf den Tischen. Dann beobachtete sie die männlichen Gäste, die mit dem orangefarbenen Inhalt ihrer Gläser auf den mintgrünen Fliesen der Tanzfläche herumliefen und, wie es schien, unruhig auf Nina warteten. Nach einigen Minuten kam sie mit einer Schüssel in den Händen die Treppe herunter, sie hatte sich umgezogen, trug jetzt ein weiÃes Feinrippunterhemd, unter dem sich deutlich ihre kleinen Tennisballbrüste und der blassgrüne BH abzeichneten, und eine enge, fadenscheinige Jeans, die ihre schmalen Hüften bestens betonte. Da war sie, der Star ohne Starallüren, unschuldig in frischem WeiÃ, sexy, scheinbar ohne es zu wissen. Dabei musste sie das Blickegewitter bemerken, in dem sie gerade unterging.
»à cambiata!« , hörte Magdalena den Empfangschef mit dem Mädchennamen murmeln und verfolgte aufmerksam, welche Bahnen die Blicke seiner leicht hervorstehenden Augen an Ninas Figur zogen. Nina hatte sich verändert? Es schien ihm dennoch zu gefallen, was er sah.
»Danke für den Aperitif!«, hauchte Nina ihr ins Ohr und küsste sie wie in Zeitlupe auf beide Wangen. Magdalena wusste,
dass jeder der Umstehenden diese kleine Szene beobachtete, und winkte verlegen ab.
Ninas Essen war wie immer fantastisch. Als ersten Gang gab es tortellini romagnoli , dann folgten das filetto di cinghiale gratinato samt Bohnen und selbst gemachten Pommes frites aus der Fritteuse. Wie hatte Nina es geschafft, zehn Wildschweinfilets in zwei mittelgroÃen Pfannen auf zwei Gasflammen gleichzeitig fertigzubekommen?, fragte Magdalena sich. Und gratinato ? Wie konnte sie etwas überbacken, wenn es noch nicht einmal einen Backofen gab? Aber sie würde sich mit ihrer Frage zurückhalten und nicht schon wieder die tedesca geben, sie fühlte sich eh schon verdammt deutsch: so gründlich, so pünktlich, so unelegant.
Matteo schleppte fünf Teller zugleich die Treppe hinunter und servierte, als ob er sein Leben lang nichts anderes getan hätte. Als alle versorgt waren, setzte er sich neben Magdalena, die jetzt zwischen ihm und Nicóla, dem Rezeptionisten, saÃ. Sie hörte dieses ȏ cambiata!« noch zweimal an der Tafel, doch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, wurde sie von Nina der Essensrunde vorgestellt. »Magdalena Lucia Kirsch, eine der besten Harfenistinnen Europas«, behauptete sie, ohne rot zu werden. Gestern, als es Fisch gab, hatte Nina sie zu einer Staranwältin aus München gemacht. Nina amüsierte sich über die unterschiedlichen Reaktionen ihrer Gäste und lieà sie dann raten, was Magdalena wirklich war. Schriftstellerin, Immobilienmaklerin, Gesangslehrerin. Der kleinere carabiniere tippte auf Yogalehrerin, das hatte gestern auch schon jemand geraten, wahrscheinlich lag es an ihrem indischen Gewand. Magdalena beeilte sich, das Rätsel aufzulösen, sie wollte keine Harfenistin oder Staranwältin sein und sich mit deren Ruhm schmücken, sie wollte Kartografin sein, nichts anderes! Inzwischen konnte sie ihren Beruf schon so flüssig auf Italienisch erklären, dass es sich
sogar ganz gut anhörte. Cartografo . Betont auf der zweiten Silbe. Wie gestern wurde sie gefragt, ob nicht schon alles auf der Welt vermessen sei und ob sie einen Navigator im Auto habe.
»Nein«, antwortete sie, »vieles wird immer wieder neu vermessen, und der Anspruch an eine Karte ändert sich ja auch stetig«, und, »nein, ich habe nicht einmal ein eigenes Auto.« Gelächter an dieser Stelle, auch das kannte sie schon. »Aber ich habe mich schon immer sehr gut
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