Magdalenas Garten
orientieren können und bin, anders als angeblich die meisten Frauen, gut im Lesen der Karten, mit denen ich mich den ganzen Tag beschäftige.« Magdalena lächelte, spieÃte eine verlorene Bohne von ihrem Tellerrand auf die Gabel und dankte Nina mit einem Blick für ihre niedergeschriebenen Sätze, die sie auswendig gelernt hatte. »AuÃerdem«, erklärte sie schnell, weil alle ihr noch immer zuhörten, »kann ich keine Karte anschauen, ohne sie noch irgendwie verbessern zu wollen. Typische Berufskrankheit.« Gerne hätte sie noch mehr erzählt, aber als sie ihren Wortschatz überschlug, gab sie rasch auf, schon auf Deutsch war ihre Faszination für Karten schwer zu vermitteln. Doch dann fiel ihr Blick auf Matteo. »Matteo, wie sage ich auf Italienisch, dass mich neben der inhaltlichen Konzipierung einer Karte vielmehr die Visualisierung räumlicher Daten begeistert?«
»Ãh, tja, das ist sicher interessant, aber meinst du auch für die da?« Magdalena schaute auf, fünf Sekunden hatten gereicht, um die Aufmerksamkeit der Runde zu verlieren: Die beiden carabinieri maÃen sich laut ächzend im Armdrücken, um Nina zu beeindrucken, Gasflaschen-Luciano gab mit seinem Handy vor ihr an, es konnte täuschend echt bellen und ein Maschinengewehr imitieren, was Nicóla veranlasste, sein eigenes Handy zu zücken. Nur der kahlköpfige Vittorio, zwei Stühle weiter, blickte noch zu ihr hinüber, aber dann sah sie, dass sein Blick glasig war, da er, ohne eine Miene zu verziehen, dem kleinen Harley-Davidson-Dario
lauschte, der ihm etwas ins Ohr raunte. »Schon klar«, sagte sie leise und trank einen groÃen Schluck Rotwein.
An diesem Abend verkürzte Magdalena ihren angenehmen kleinen Rausch nicht mit einem Espresso, sondern nahm einen Averna von Matteo an, von dem er behauptete, er heile alles, sei also eigentlich eine Medizin. »Salute!«
Herrlich müde und gesättigt fiel sie ins Bett, lieà die Bilder des Abends noch einmal Revue passieren: der dauergrinsende Dario, der nur seine Harley als Gesprächsthema hatte, aber seine Zähne waren toll. Luciano, der eigentlich Klempner war und dem Nina aus seinen riesigen Händen die Zukunft gelesen hatte, Nicóla, hübsch, intelligent und ganz offensichtlich in Nina verliebt. Wie alle anderen auch, auÃer Matteo vielleicht, der den ganzen Abend kaum einmal neben ihr gesessen, sondern dauernd abgeräumt und nachgeschenkt hatte. Magdalena hörte sich seufzen. Warum hatte Nina sich verändert und wie? Von wo nach wo? Sie kicherte und merkte, wie betrunken sie war. Von wo nach wo! Das werde ich schon noch herausbekommen, dachte sie, das - und von wo nach wo mein Vater meine Mutter getroffen hat und was für ein Vergehen Nina begangen hat und ob ihre Brüste echt sind und ⦠überhaupt alles.
9
S i?! Si!!« Nina riss ihre groÃen Augen noch weiter auf, komm, komm, sie winkte Magdalena heran. »Und wie heiÃen Sie?«, fragte sie auf Italienisch. »Signor â¦?«
Magdalena stieà den Stuhl zurück und stand auf, ihre Knie gaben nach, sie stützte sich auf die Tischplatte und starrte auf Ninas Mund, der jetzt mehrmals hintereinander »si« sagte.
»Und das war �« Nina nickte ihr zu, ein erster Anruf, ein erster Mensch, der das Foto gesehen und zum Telefon gegriffen hatte! »Neunzehnhundertneunundsiebzig. Ja, genau.« Magdalena merkte, wie alles Blut aus ihrem Kopf wich, die Farbkopien hingen kaum länger als einen Tag, und schon meldete sich jemand. Vielleicht sprach ihr eigener Vater da gerade am Handy!
»No!« , sagte Nina plötzlich kalt. »Non mi interessa, pezzo di merda!« Was war passiert, wieso nannte sie ihn ScheiÃkerl!? Wütend klappte Nina ihr Handy zu. »Ich glaubâs nicht, das war so ein Wichser, der sich an meiner Stimme hochgezogen hat und ⦠bah!, was für Typen es gibt! Mist, der hat jetzt meine Nummer!«
»O nein, wie ekelhaft. Das tut mir leid.« Nicht ihr Vater, sondern nur irgendein abartiger Idiot. Die Enttäuschung traf Magdalena wie ein schwingender Boxsack und warf sie in den Stuhl zurück.
»Und, was denkst du? Nehmen wir uns morgen noch Portoferraio
vor? Dann haben wir alle durch«, sagte Nina. Magdalena nickte, schob die letzte Farbkopie mit einer fahrigen Bewegung in eine Plastikhülle, klebte sie unten zu und legte sie auf den Stapel zu den anderen.
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