Magdalenas Garten
will unbedingt zu dir!«, hatte Nina gesagt. Also war auch die poppige Madonna mit den gefalteten Händen in ihren Besitz übergegangen. »Eine Maria Magdalena für Magdalena!«, hatte Nina gesungen. Sie schniefte noch ein wenig und öffnete dann gedankenverloren den Brief vom Verlag.
âºLiebes Fräulein Kirsch!â¹ Sie lächelte, Fräulein sagte heute keiner mehr, doch von ihm lieà sie es sich gefallen. Aber warum schrieb der alte Herr Ditfurther ihr auf seiner noch älteren Olympia-Schreibmaschine einen Brief? Sie überflog die Zeilen und hielt entsetzt die Luft an. Es war das eingetreten, was sie schon lange befürchtet hatte: Ein Wiener Kartografieverlag hatte den Ditfurther Betrieb aufgekauft, âºMitarbeiterübernahme eventuell möglich, bis zur Klärung der Einzelheiten nehmen Sie bitte Ihren Jahresurlaub.â¹ Magdalena war wie vor den Kopf geschlagen, ihre Arbeitsstelle war weg, kein Ditfurther Verlag mehr in Rheine, sondern Wien, das hörte sich nach einem kühl durchkalkulierten Schachzug von Lumpi an. Was sollte sie in Wien? âºâ¦ nehmen Sie bitte Ihren Jahresurlaub â¦â¹ Wahrscheinlich hatte der Chef den Brief mit Tränen in den Augen beendet.
Minutenlang starrte sie vor sich hin. Sollte sie jetzt hauptberuflich Bord-Stewardess werden? Vorausgesetzt, die Treva würde sie überhaupt noch nehmen. Könnte sie es ertragen, Elba je nach Laune und geschäftlichen Beziehungen der Reiseleiterin zu befahren? Erst Capoliveri, dann Porto Azzurro, ein Halt in einem Edelsteinladen, wo man auch Korallenschmuck kaufen konnte, Mittagessen in einem Lokal in Marina di Campo, dann noch schnell das Paolina-Inselchen, immer ein beliebtes Motiv, und der Rest, Portoferraio mit Besichtigung der Festung und Napoleon-Residenz - oder das Ganze andersherum?
Nein, völlig indiskutabel. Zuerst musste sie ihren Vater finden!
Magdalena schaute auf die Uhr, ihr blieben noch ungefähr zehn Minuten, dann musste sie von Bord und in den Bus einsteigen. Sie sah die soliden grünen Ledersessel des Bordbistros vor sich, auf denen sich ihre älteren Gäste gut gelaunt breitmachten, sie sah die kleinen Körbchen mit Zucker und SüÃstofftütchen, die grässliche Kunststoffblume in der grässlichen Vase auf jedem Tisch, sie mochte nicht daran denken, und doch fielen ihr immer mehr Details ein. Der Geruch nach Sauerbraten aus der Dose, das âºPlingâ¹ der Mikrowelle, die Uniform, von der Resi nach fünf Tagen Toskanareise nur noch das schwarzrote Halstuch zu Jeans und T-Shirt trug. Warum machte ihr das auf einmal etwas aus, sie hatte den Job doch immer gerne gemacht?
Die Vibration des Motors veränderte sich, Magdalena raffte ihre Sachen zusammen, stand auf, griff sich ihren Korb und ging jetzt doch nach drauÃen, die hässlichen Fördertürme und Schornsteine von Piombino, die ganze verruÃte, scheuÃliche Skyline passten vortrefflich zu ihrem Abschiedsschmerz. Der Wind wehte frisch und blies ihr die Haare aus dem Gesicht, langsam schob sich das riesige Schiff näher an die Mole, die Menschen drängten von Deck, um sich als Traube in den Fluren vor den Ausstiegstüren zu stauen. Magdalena blieb an der Reling stehen, sie wollte es so lange wie möglich hinauszögern, mit der Treva-Reisegruppe in Berührung zu kommen.
Ein kurzes Tuten, Taue wurden um gigantische Poller aus rostigem Eisen gelegt, sie hatten am Festland angedockt. Sie konnte es zwar nicht sehen, aber von der Hinfahrt wusste sie, dass sich jetzt die Klappe am Schiffsbug öffnete. Gleich würden die ersten Autos befreit aus dem Maul der Fähre fliehen, während die anderen, die hinüber nach Elba wollten, schon auf das Verschlucktwerden warteten.
Ich muss los, sonst warten die Gäste im Bus auf mich, und
was ist peinlicher, als vor einer versammelten Mannschaft Senioren zu spät zu kommen â¦
Als Allerletzte trat sie auf das Treppengerüst, das an die AuÃenwand der Fähre geschoben worden war, um den Passagieren in sechs Metern Höhe den Ausstieg zu ermöglichen. Der Pulk der Ankömmlinge strömte bereits unten am Boden den Bussen und Autos entgegen. Jetzt konnte Magdalena einen Blick auf die Autoschlangen und die Passagiere an Land werfen, die hinter den Absperrgittern anstanden.
»Ihr habt es gut, ihr dürft nach Elba zurück und ich nicht«, murmelte sie leise und fühlte sich plötzlich wie damals mit
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