Magdalenas Garten
einem anderen Tag hätte sie vielleicht auf eine Entschuldigung für sein Wegfahren gewartet, doch heute waren ihre Gedanken ganz woanders.
»Gutes Wetter hattest du ja!«
»Ja. Stimmt.«
»Da ist Resi. Sie hat auch diese Fahrt übernommen. Fähige Frau!« Ja, wirklich, auf der Rückfahrt würde Magdalena sich bei ihr bedanken, sie hatten ja Zeit, eine Stunde auf der Fähre und dann noch mal eineinhalb Stunden bis nach Forte dei Marmi. Mit einer Handbewegung, in die sie etwas von Ninas Lebhaftigkeit zu legen versuchte, winkte Magdalena Resi zu und beobachtete
sie. Beim Ein- und Aussteigen musste die Bord-Stewardess an der hinteren Tür bereitstehen und den älteren Leuten helfen. Also allen. Die Geschäftsleitung wollte das so. Resi konnte es perfekt, sie stützte hier einen Ellbogen, half dort jemandem mit einem kleinen Scherz die hohe Stufe hinauf und gab keinem das Gefühl, alt und klapprig zu sein.
Stefan folgte Magdalenas Blick und drückte ihre Hand.
»Also, es tut mir echt leid, was da neulich passiert ist, ich verstehe gar nicht, wie wir dich vergessen konnten.«
Sie schüttelte lächelnd den Kopf und wäre am liebsten weggelaufen.
»Noch zehn Minuten«, sagte er, »na, dann wollen wir mal langsam.« Er pfiff ein kleines Liedchen. »Brauchst du etwas aus deinem Koffer? Der ist hier drin.« Hinter der geöffneten Klappe, zwischen Getränkekisten und Kartons mit Kartoffelsuppendosen, erspähte Magdalena den kleinen blauen Koffer, den Opa Rudi ihr gepackt hatte.
»Nein, ich brauche nichts.« Aber dann rief sie: »Ach doch!«
»Also, was denn nun?« Er zog den Koffer hervor. »Bitte schön! Vorne ist übrigens etwas drin, von dem dein GroÃvater meinte, dass ich es dir unbedingt geben müsste.«
»Ja? Was denn?« Magdalena langte in die Seitentasche, ertastete einen Briefumschlag und eine längliche Schachtel und holte beides heraus. Fünf Kätzchen guckten vor einem gelben Hintergrund mit ernsten Mienen an ihr vorbei, eine alte, platt gedrückte Katzenzungenschachtel, chocolat au lait , zusammengehalten von einem Gummiband. Der Brief war vom Ditfurther Verlag. Hastig streifte sie das Gummiband ab und öffnete die Schachtel, ein dünnes graues Notizbuch lag obenauf, darunter Postkarten, Briefe und kleine Zettel. Sie drehte eine der Postkarten um, Heidi Kirsch, Beerenweg 16, 7800 Freiburg. Der Wind fuhr mit einer heftigen Bö zwischen die Papiere, um ein
Haar hätte er alles weggeweht. Schnell klappte Magdalena den Deckel wieder zu, am liebsten hätte sie sich auf die Stufen an der Bustür gesetzt, so schwach fühlte sie sich.
»Das schaue ich mir lieber auf der Fähre an«, sagte sie bemüht ruhig zu Stefan, aber in ihr schrie eine hysterische Stimme immer wieder dasselbe Wort: Heidi! Opa Rudi hat mir etwas von Heidi geschickt, er hat sich überwunden und Postkarten von ihr herausgesucht. Und nicht nur Postkarten! Sie öffnete die Schachtel wieder einen Spalt - Vorsicht, der Wind - und holte das Notizbuch hervor. Vielleicht hatte Heidi über ihre Zeit auf Elba geschrieben. Sie schlug das dünne Buch irgendwo auf:
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Bin vom Campingplatz abgehauen, schlafe jetzt am Strand, Margo aus Holland hat mich mit in ihr Zelt genommen. Es liegt versteckt ganz am Ende von der Bucht, und sie hat alles da, was man braucht, echt gemütlich. Nur die Dusche fehlt, bin salzig und klebrig, wir haben es im Hotel Acquarius versucht, aber die haben uns entdeckt und rausgeschmissen.
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Hotel Acquarius ? Der Wind zerrte an ihren Kleidern, doch Magdalena bekam kaum noch Luft. Gab es in Procchio nicht ein Hotel mit diesem Namen? Natürlich, unten am Meer, gleich neben dem Giramondo . So wie das aussah, gab es das schon seit dreiÃig Jahren. Heidi hatte in Procchio am Strand übernachtet!
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Abends gehen wir ins da Pippo, da kostet ein Teller carbonara nur 3500 Lire, und sie knöpfen uns auch nicht die 1000 Lire coperto ab, mittags holen wir uns eine Wassermelone vom Gemüsemann und essen, bis wir fast platzen.
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Der Gemüsemann! Und ausgerechnet jetzt musste sie abreisen, aus dem hätte sie garantiert noch etwas herausbekommen können. Warum fuhr sie überhaupt weg, jetzt, wo sie Heidis Aufzeichnungen
in den Händen hielt? Magdalenas Blick flog über die Häuser von Portoferraio, als ob die Antwort in den bunten Fassaden läge. Die Festung, in die
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