Magdalenas Garten
und genug Geld, um sich ein Hotelzimmer zu mieten. Kurz war Magdalena versucht, einen kleinen Umweg in den Zitronengarten zu machen, aber sie wollte Matteo unten auf der StraÃe nicht warten lassen. Sie nahm die Korbtasche von der rechten in die linke Hand, immer noch nicht mehr Gepäck. Der kleine, von Opa Rudi gepackte Koffer befand sich in zwei Tagen schon wieder auf der Heimreise. Sie merkte, dass sie vor sich hin summte. Dieser Giovanni war also nicht ihr Vater. Irgendwie war sie froh, dass er es nicht war, sie würde einen anderen, besseren, passenderen Vater finden. Es schien auf einmal, als könnte nichts mehr schiefgehen. War sie bereits total durchgedreht? Freute sie sich vielleicht auch noch an der Tatsache, keine Arbeit in Deutschland mehr zu haben und keinen Platz in Ninas Bett? Seltsam, es machte ihr nichts aus. Sie forschte tiefer in sich, während sie die Treppe hinunterstieg. Nichts, keine Angst kam auf. Jetzt musste sie Rudi nur noch ihre Abwesenheit während der nächsten zwei Wochen erklären, keine Ahnung, wie sie das anstellen wollte, aber hatte er ihr nicht die Katzenzungenschachtel geschickt? Also würde es ihr auch gelingen. Die Gewissheit hüllte sie ein wie der Duft der Zitronenblüten. Wenn ich mir doch immer so sicher sein könnte, dachte sie und sprang zwei Stufen auf einmal hinab.
16
D as fehlende Stück Putz an der Decke sah aus wie Australien auf einer Weltkarte, MaÃstab 1: 30 000 000. Natürlich konnte sie hier nicht wohnen bleiben, 60 Euro pro Nacht für diese Bruchbude war eine Frechheit. Magdalena drehte sich auf die Seite. Wenn das so weiterginge, bräuchte sie in den nächsten Tagen kein Hotel mehr, eine Parkbank würde es auch tun und wäre zudem billiger, da sie sowieso nicht schlafen konnte.
»Zu teuer«, hatte Matteo gebrummelt, als er sie vor einigen Stunden vor dem Hotel Acquarius absetzte.
»Aber aus diesem Hotel ist immerhin meine Mutter hinausgeworfen worden, weil sie sich zum Duschen hier einschleichen wollte!«
»Und was hast du davon?«
»Nichts. Trotzdem finde ich die Vorstellung schön, nur wenige Meter von dem Platz entfernt zu schlafen, an dem sie vor einunddreiÃig Jahren in einem kleinen Zelt ein paar Nächte verbracht hat.«
Sie hatte ihm das graue Notizheft gezeigt.
»Beeindruckend.«
»Danke fürs Bringen!«
Die Autotür hatte sie heftiger als nötig zugeschlagen. Idiot.
Das Zimmer war klein, es roch ranzig, und die Laken auf dem Doppelbett sahen ungewaschen aus. Magdalena hatte den gesamten
Inhalt der Schachtel auf der anderen Hälfte des Bettes ausgebreitet, die Fotos mithilfe des zweiten Kopfkissens wie ein dreigeteiltes Altarbild aufgestellt und jede Postkarte, jeden Brief, jedes Zettelchen mehrfach durchgelesen. Sie war erschöpft. Wie gern würde sie Nina jetzt davon erzählen. Wie herrlich war es gewesen, in Ninas Bett zu liegen, das Gemurmel aus dem winzigen Fernseher und das Töpfegeklapper aus der Küche zu hören oder Mikkis schlurfende Schritte von Ninas energischem Stakkatotakt zu unterscheiden. Magdalena seufzte, Nina war anderweitig beschäftigt, auÃer ihr selbst war niemand da, den sie für ihre Entscheidung verantwortlich machen konnte. Bei Opa Rudi hatte sie noch eine kleine Schonzeit, er erwartete sie erst in zwei Tagen mit dem Bus zurück. Erneut drehte sie sich herum, wieder blieb ihr Blick auf Australien an der Decke hängen. Ditfurther macht dicht, in ein paar Tagen bin ich eine arbeitslose Kartografin. Also hat der pessimistische Karsten Brömstrup doch recht behalten: Ein kleiner Verlag in Rheine, das ist doch kein sicherer Arbeitsplatz, hat er immer gesagt. Karsten Brömstrup! Der Name blinkte vor ihren Augen auf. Karsten Brömstrup, ihr gröÃter Fan, der pingeligste, freundlichste Geologe vom Geologischen Dienst in Münster. Sie kannte ihn von der Ausbildung, in der er, der angehende Geologe, und sie, die angehende Kartografin, gemeinsam ein Projekt bearbeitet hatten. »Die Kartierung/Vermessung von Hangrutschungen am Ostauerländer Hauptsattel«, eine pfriemelige Angelegenheit, die durch seinen wispernden Ton und seine Unterwürfigkeit nicht unbedingt einfacher wurde. Er bekniete Magdalena, sich beim Geologischen Dienst in Münster zu bewerben, in irgendeinem Aktenordner waren ihre Unterlagen dort wahrscheinlich sogar noch abgeheftet, aber es hatte nicht geklappt, und sie war nicht traurig darum
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