Magdalenas Garten
und die Umrisse verschwimmen. Auf der einen Seite des Wagens gab es zwei Bänke mit einem kleinen Tisch dazwischen, ein schmaler Kleiderschrank quetschte sich neben die Tür, unter dem breiten Fenster an der Stirnseite befand sich eine Polsterbank, auf der sie schlafen würde. Sie goss das Wasser in eine Tasse und hängte einen Teebeutel hinein, gab einen Löffel Zucker dazu, dann setzte sie sich mit der Tasse auf ihren Stammplatz in der Tür und schaute den Fledermäusen zu, die am dunkelblauen Himmel ein Wettfliegen veranstalteten. Es war so still um sie herum. Nur ab und zu hörte sie entferntes Hundegeheul und ein Rascheln unter dem Wohnwagen. Wahrscheinlich eine Maus. Ihr fehlte das Schlagen der Turmuhr. Die Stille wurde immer dichter, bis sie in ihren Ohren dröhnte, Magdalena erhob sich und schloss die Tür von innen ab, sie zündete die beiden Gaslampen
an, setzte sich an den Tisch und hörte dem Zischen zu. Sie langte nach dem Nutella-Glas neben sich und suchte nach einem Löffel. Mehrere Male grub sie den Löffel ins Glas und lieà ihn dann in ihren Mund wandern, bis sie von der schokoladigen Masse genug hatte. Danach drehte sie die Lampen unter den angekokelten Stoffschirmen wieder aus und legte sich auf das nach Ammoniak riechende Polster unter die dünne Decke. Sofort wurde die Luft stickig, und Mücken stürzten sich auf sie, surrten in ihren Ohren und saugten sich mit ihrem Blut voll. Magdalena nahm die Taschenlampe und ging auf die Jagd, aber die verdammten Viecher waren unsichtbar, sie konnte kein einziges von ihnen entdecken. Sie sprühte sich mit dem kleinen Rest Antimückenspray ein, der noch in der Flasche war, und legte sich wieder hin. Diese Geruchsmischung würde keinen Eintrag ins Buch der Erinnerungen bekommen. Du wirst dich an das Ei gewöhnen, beschwichtigte sie sich, das wird noch ganz prima hier. Erst gefällt es dir irgendwo nicht, und nachher willst du gar nicht wieder weg, das ist bei dir doch immer so. Sie wurde ruhiger, lauschte ihrem Atem, doch dann ging es wieder los mit dem Gesumme, und sie zog das Laken über ihr Gesicht. Stunden später war sie immer noch wach. Es war inzwischen kalt geworden, sie stand auf, zog sich den neuen Pullover an, zu dem Nina ihr geraten hatte, und kroch erneut unter die Decke. Bibbernd schlang sie die Arme um sich. Selbst die rauschenden Wasserleitungen im Hotel, die Fernsehstimmen aus den Zimmern rechts und links von ihrem und der quietschende Fahrstuhl gleich neben ihrer Tür fehlten ihr jetzt.
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Verschwitzt und mit verquollenen Augen erwachte Magdalena, die Sonne brannte auf das Dach der Wohnwagenbüchse und lieà es knacken und ächzen. Sie nahm sich ein Handtuch und
floh nach drauÃen in den einzigen Schatten, den leider nur das Duschhäuschen bot, aus dem Klo nebenan stank es immer noch.
»Du hattest recht, Matteo, bist du jetzt zufrieden?«, rief Magdalena und hopste unter der eisigen Dusche auf und ab. Holla, war das kalt! Warmes Wasser gab es hier wegen des fehlenden Stroms nicht. Sie rubbelte sich trocken und kratzte einen ihrer zahlreichen Mückenstiche blutig.
In das Handtuch gewickelt, ging sie zum Ruderboot und verdrehte den Kopf, um den Namen lesen zu können, der am Bug stand. »Fiordiligi«. Der Name einer Figur aus »Cosi fan tutte«, ein bisschen viel für einen kleinen Holzkahn. Oma Witta hatte die Opern von Mozart geliebt, ihre Schallplatten standen immer noch im Wohnzimmerschrank, obwohl der Plattenspieler längst kaputt war. Warum trugen Boote eigentlich immer weibliche Namen? Magdalena löste mit spitzen Fingern einige halb abgeplatzte Farbstücke von Fiordiligis ehemals karmesinrot gestrichenem Rumpf. Obwohl sie sich jetzt frisch und wach fühlte, hatte sie heute Morgen überhaupt keine Lust weiterzuputzen. Sie lieà das letzte Stück Rot zu den anderen unter das Boot fallen. Das Gras war nass, ihre nackten FüÃe kalt, aus dem Wohnwagen hörte sie das Handy klimpern. Eine neue Nachricht.
Wenn das wieder irgend so ein Babylein-Gesülze von Florian ist, flippe ich aus, dachte Magdalena, dann rufe ich ihn an. Nein, ich rufe ihn erst an und flippe währenddessen aus.
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Als sie in den Wohnwagen kam, schrie sie leise auf. Das Nutella-Glas wurde von Tausenden winzigen Ameisen belagert, anscheinend hatte sie es gestern Abend nicht fest genug verschlossen. In einer betriebsamen Karawane kamen sie von irgendwo aus der
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