Maggie O´Dell 01 - Das Boese
nichts gehört. Wo in aller Welt war er bloß?
Er hatte gerufen, bis ihm der Hals wehtat. Geantwortet hatten nur heftige Windböen, als schimpften sie ihn aus. Es war viel zu ruhig ringsum. Er fürchtete, hilflos weitab von jeder Zivilisation zu sein.
Etwas huschte über den Boden, ein Klick-Klick winziger Krallen auf Holz. Sein Puls beschleunigte sich, und Timmy begann wieder zu zittern. Er ließ das Feuerzeug aufflammen, sah jedoch nichts. Schließlich langte er vom Bett zu der Kiste hinüber und zündete die Laterne an. Sofort erfüllte ihr gelbliches Licht den Raum. Er hätte erleichtert sein müssen, doch er rollte sich zu einem Ball zusammen, zog die Decke bis unters Kinn und weinte zum ersten Mal, seit sein Dad die Stadt verlassen hatte.
69. KAPITEL
Sie war trotz ihrer Kurven schlau und entschieden ein würdiger Gegner. Er fragte sich, wie viel Spezialagentin Maggie O‘Dell wirklich wusste, und was sie ihm nur vorspielte. Im Grunde war das gleichgültig. Er liebte Spiele, sie lenkten ihn von dem Pochen im Kopf ab.
Niemand beachtete ihn, während er den sterilen Flur entlangging. Wer ihn erkannte, nickte und eilte vorbei. Seine Anwesenheit wurde hier wie überall in der Gemeinde ganz selbstverständlich akzeptiert. Er fügte sich ein, da er in der Öffentlichkeit eine andere Art Maske trug, eine, die er nicht einfach abnehmen konnte.
Er nahm die Treppe. Heute roch sogar das sauber geputzte Treppenhaus nach Antiseptikum. Das erinnerte ihn an seine Mutter, die auf Händen und Knien ruhig den Küchenboden geschrubbt hatte, oft morgens um zwei oder drei, wenn sein Stiefvater schlief. Ihre zarten Hände waren von der scharfen Lauge rot und wund gewesen. Wie oft hatte er sie dabei heimlich schluchzen hören? Als könnte sie durch das morgendliche Reinigungsritual ungeschehen machen, wie sehr sie sich ihr Leben ruiniert hatte.
Und heute, viele Jahre später, versuchte er durch ein Reinigungsritual seine Vergangenheit loszuwerden. Wie viele Tötungen waren noch nötig, um das Bild des heulenden, hilflosen Jungen seiner Kindheit auszulöschen?
Die Tür schlug hinter ihm zu. Er war schon früher hier gewesen und hatte Trost in der vertrauten Umgebung gefunden. Irgendwo über seinem Kopf surrte ein Ventilator. Ansonsten war es still, angemessen still für diese vorläufige Ruhestatt.
Er zog sich Latexhandschuhe an. Welche würde es sein? Schublade eins, zwei oder drei? Vielleicht vier oder fünf? Er wählte Nummer drei, zog und zuckte beim Knirschen des Metalls zusammen. Erfreut sah er, die richtige gewählt zu haben.
Der schwarze Leichensack wirkte klein auf dem langen silbrigen Tisch. Er zog ihn vorsichtig auf und schlug die Enden behutsam zu beiden Seiten des Jungen zurück. Die präzisen chirurgischen Schnitte des Gerichtsmediziners widerten ihn an, genau wie die Stichwunden, die sein Werk waren. Matthews armer kleiner Körper ähnelte einer Landkarte. Doch der Junge war jetzt an einem schöneren Ort, an dem es weder Schmerzen noch Demütigungen, weder Einsamkeit noch Verlassensein gab. Er hatte dafür gesorgt, dass Matthew friedlich die ewige Ruhe fand und für immer ein unschuldiges Kind bleiben durfte.
Er wickelte das Filetiermesser aus und legte es beiseite. Er musste das einzige Beweisstück zerstören, das ihn mit den Morden in Verbindung bringen konnte. Wie sorglos er gewesen war, wie unglaublich dumm. Vielleicht war es sogar schon zu spät, doch wenn Maggie O‘Dell etwas gemerkt hätte, würde sie ihm bereits seine Rechte vorlesen.
Er zog den Leichensack weiter auf, bis er Matthews kleine Beine sah. Dort am Schenkel war der rote Zahnabdruck, Beweis der Wut des Dämons, den er in sich trug. Scham durchströmte ihn heiß. Er bewegte das Bein des Jungen und nahm das Messer auf.
Irgendwo draußen am Flur schlug eine Tür zu. Er verharrte, hielt den Atem an und lauschte. Mehrere Personen kamen mit knirschenden Gummisohlen näher und blieben vor der Tür stehen. Sie zögerten, er wartete, das Messer fest in der behandschuhten Hand. Wie sollte er das hier erklären? Es könnte schwierig werden, unmöglich war es nicht.
Als er fürchtete, die Lungen könnten ihm platzen, setzten die knirschenden Schritte ihren Weg fort. Er wartete, bis sie das Ende des Flures erreicht hatten und die Tür zuschlug, dann atmete er aus und tief durch. Ammoniakgeruch stach ihm in die Nase. Der Puder in den Gummihandschuhen verband sich mit dem Schweiß seiner Hände, dass es zu jucken begann. Ein Schweißtropfen rann ihm
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