Maggie O'Dell 03 - Schwarze Seele
vielleicht nicht völlig offenkundig.“
Stan nutzte die Gelegenheit, ein Skalpell von seinem Instrumententablett zu nehmen, und Racine riss die Augen auf. Maggie merkte, dass sie den Moment erreicht hatten, vor dem Racine seit ihrer Ankunft graute. Stan begann den Y-Einschnitt.
„Warten Sie!“ hielt Maggie ihn auf, aber nicht, um Racine zu schonen. Selbst neugierig geworden, wollte sie rasch etwas überprüfen. Wenn das Mädchen noch gelebt hatte, als es aufrecht am Baum saß, war Strangulation vielleicht nicht die Todesursache. „Könnten wir uns zunächst noch einmal die Strangulationswunden am Hals ansehen?“
„Gut, sehen wir uns noch einmal die Strangulationswunden am Hals an.“ Wenhoff seufzte tief und warf das Skalpell beiseite, dass es klimpernd gegen die anderen Metallinstrumente fiel.
Maggie sah, dass er sein Bestes gab, seine Ungeduld zu bremsen, doch die unnatürliche Röte seines teigigen Gesichtes verriet ihn. Schweißperlen bildeten sich auf seiner beginnenden Glatze. Er war es gewöhnt, die Arbeit auf seine Weise zu erledigen, und das Publikum schwieg dazu. Dass er ihrer Bitte nachgab, war in Maggies Augen ein großer Respektsbeweis. Er trat beiseite und ließ sie gewähren.
„Da war also nichts am Tatort, das zur Strangulation benutzt worden sein könnte?“ fragte sie Tully erneut und blickte suchend über die Arbeitsflächen.
Sie merkte, dass Tully Racine anschaute, die antwortete: „Nichts. Die Tote trug nicht mal Strumpfhosen. Der Riemen ihrer Tasche war intakt und sauber. Was der Täter auch benutzt hat, er hat es mitgenommen.“
Maggie entdeckte, was sie suchte, und holte den Abroller für Klebeband vom Schreibtisch in der Ecke. Sie zog die Handschuhe aus, um den Klebestreifen halten zu können, riss ein Stück ab und hielt es sorgfältig an beiden Enden fest.
„Stan, könnten Sie den Kopf halten, damit ich besser an den Hals komme?“
Stan bewegte den Kopf des Mädchens wie den einer Schaufensterpuppe. Die Leichenstarre war voll eingetreten und machte die Muskulatur steif. Nach etwa vierundzwanzig Stunden würden die Muskeln wieder erschlaffen, aber im Augenblick musste Stan den Kopf auf eine Art verdrehen, die respektlos wirkte, in Wahrheit aber eine Notwendigkeit war.
Es gab mehrere Strangulationswunden, etliche einander überlappend, einige waren tiefer als andere. Der noch jugendlich straffe Hals des Mädchens sah aus wie eine Straßenkarte in 3-D. Neben den scharf abgegrenzten Linien gab es massive Unterblutungen, wo der Killer offenbar seine Hände benutzt hatte.
„Was glauben Sie, warum hat er es so schwer gehabt, die Sache zu Ende zu bringen?“ fragte Maggie allgemein, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten.
„Vielleicht hat sie sich heftig gewehrt“, vermutete Racine.
Das Mädchen war klein, kaum einssechzig nach Stans Messungen. Maggie bezweifelte, dass sie viel Widerstand geleistet hatte.
„Vielleicht wollte er die Sache gar nicht schnell zu Ende bringen“, überraschte Tully sie mit seiner leisen Bemerkung. Sie spürte ihn hinter sich stehen und ihr über die Schulter blicken.
„Sie meinen, er hat nur so lange gewürgt, biss sie bewusstlos wurde?“ fragte Racine.
Maggie versuchte sich nicht ablenken zu lassen, drückte das durchsichtige Klebeband auf die Haut des Mädchens und tief in die Furchen.
„Vielleicht hat es ihn angetörnt, sie bewusstlos werden zu sehen.“ Tully sprach aus, was Maggie gedacht hatte. „Vielleicht gehörte das zu einer autoerotischen Erstickung.“
„Das könnte erklären, warum sie aufrecht sitzend gestorben ist“, pflichtete Maggie bei. „Vielleicht war diese Haltung schlicht ein Teil seines krankhaften Spiels.“
„Was machen Sie mit dem Klebeband?“ fragte Racine.
Aha, Detective Racine gab endlich zu, etwas nicht zu wissen. Maggie hob das Klebeband ab, während Stan ihr einen Objektträger hinhielt, auf den sie es legte. Sobald es gesichert war, hielt Maggie es gegen das Licht.
„Je nachdem, was der Täter benutzt hat, bleiben manchmal Fasern in den Wunden zurück.“
„Vorausgesetzt, er benutzte ein Seil oder ein Kleidungsstück.“
„Oder irgendeine andere Faser oder Nylon. Sieht aber nicht so aus, als hätten wir Fasern gefunden. Aber da ist was Komisches. Sieht aus wie Glitter.“
„Glitter?“ fragte Stan interessiert. Sie gab ihm den Objektträger und widmete sich wieder dem Hals des Mädchens.
„Er muss etwas Starkes, Dünnes benutzt haben.“ Maggie zog sich ein frisches Paar Handschuhe
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