Maggie O'Dell 03 - Schwarze Seele
Opfer.
Sie saßen vor dem prasselnden Kaminfeuer in weichen Ledersesseln, die Vater von einem wohlhabenden Gönner bekommen hatte. Da alle tranken, führte auch Kathleen ihre Tasse an die Lippen und nahm einen Schluck. Sie hatten nur wenig gesprochen, noch erschüttert von Vaters machtvoller Demonstration. Niemand bezweifelte jedoch die Notwendigkeit, Martin eine Lektion zu erteilen. Was fiel ihm ein zu schlafen?
Sie spürte, wie Vater sie beobachtete - seine Diplomaten zur Außenwelt, wie er sie drei nannte. Jeder spielte eine wichtige Rolle und hatte Aufgaben übertragen bekommen, die nur er oder sie erledigen konnte. Im Gegenzug gestattete Vater diese privaten Zusammenkünfte und schenkte ihnen gnädig seine Zeit und sein Vertrauen. Beides seltene und besondere Gunsterweise. Er hatte viele Verpflichtungen. Es gab zu viele Menschen, deren Wunden er heilen und deren Seelen er retten musste. Zwischen Gebetsversammlungen am Wochenende und täglichen Vorträgen blieb dem Mann kaum Zeit für sich selbst. Es lastete ein ungeheurer Druck auf ihm, weil so viel von ihm erwartet wurde.
„Ihr seid alle sehr still heute Abend.“ Er lächelte sie an und nahm in dem großen Ruhesessel nah beim Feuer Platz. „Hat euch die Lektion heute Abend schockiert?“
Sie tauschten rasche Blicke untereinander. Kathleen trank wieder Tee, was ihr plötzlich angenehmer erschien, als vielleicht das Falsche zu sagen. Sie beobachtete ihn über den Rand der Tasse hinweg. Vorhin in der Versammlung wäre Emily fast in Ohnmacht gefallen. Kathleen hatte gespürt, wie sie sich immer heftiger an sie gelehnt hatte, während die Boa Martin würgte und sein Gesicht zu einem roten Ballon aufblähte. Doch Emily würde ihre Schwäche niemals zugeben.
Und Stephen mit seiner sanften und ... Sie unterband diesen Gedanken und schwor sich, nicht mehr in dieser Weise über Stephen zu denken. Schließlich war er ziemlich klug und hatte sicher andere Qualitäten, die nichts mit seiner ... nun ja, seiner sexuellen Vorliebe zu tun hatten. Sie wusste, dass Stephen auch schockiert gewesen war, aber wahrscheinlich aus Ehrfurcht nichts sagte. Vielleicht sah Vater deshalb sie an, als sei die Frage nur an sie gerichtet gewesen. Sein Blick war freundlich auffordernd, womit er ihr wieder mal das Gefühl gab, sie sei die Einzige, aus deren Meinung er sich etwas machte.
„Ja, ich war schockiert“, gestand sie und sah Emilys Augen groß werden, als wolle sie in Ohnmacht fallen. „Aber ich habe die Wichtigkeit der Lektion verstanden. Es war sehr klug, eine Schlange zu wählen“, fügte sie hinzu.
„Und warum sagen Sie das, Kathleen?“ Vater beugte sich vor und ermunterte sie fortzufahren, begierig zu hören, warum er so klug war. Als ob er das nicht längst wüsste.
„Schließlich war es die Schlange, die Eva zum Verrat anstiftete und Schuld war an der Vertreibung aus dem Paradies. So wie Martins Schlafen uns verraten und unsere Hoffnungen, ein Paradies zu errichten, zerstören kann.“
Er nickte erfreut und belohnte sie mit einem Tätscheln des Knies. Heute verweilte seine Hand ein wenig länger als sonst. Er spreizte die Finger auf ihrem Schenkel, eine zärtliche Geste, die Wärme durch die Strumpfhose auf die Haut abstrahlte und sie bis ins Innerste erbeben ließ.
Schließlich nahm er die Hand zurück und richtete seine Aufmerksamkeit auf Stephen. „Da wir gerade vom Paradies reden. Was haben Sie über unsere Transportmöglichkeiten nach Südamerika erfahren?“
„Wie Sie vermutet haben, müssten wir es in mehreren Trupps machen, jeweils zwei bis drei Dutzend auf einmal.“
„Südamerika?“ Kathleen verstand kein Wort. „Ich dachte, wir gehen nach Colorado.“
Stephen vermied den Blickkontakt mit ihr. Er sah betreten zur Seite, als sei er beim Ausplaudern eines Geheimnisses ertappt worden. Sie sah Antwort suchend zu Vater.
„Natürlich gehen wir nach Colorado, Kathleen. Südamerika ist nur ein Notfallplan. Davon weiß sonst niemand, und die Kenntnis darf diesen Raum nicht verlassen.“ Sie sah ihm forschend ins Gesicht, um festzustellen, ob er zornig war, doch er versicherte ihr lächelnd: „Sie drei sind die Einzigen, denen ich trauen kann.“
„Also gehen wir nach Colorado?“ Kathleen hatte sich in die Fotos von heißen Quellen, wunderschönen Ahornbäumen und Wildblumen verliebt. Was wusste sie schon von Südamerika? Das war ihr zu weit weg, zu fremd, zu primitiv.
„Ja, natürlich“, versicherte er ihr. „Südamerika ist nur für den
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