Maggie O'Dell 03 - Schwarze Seele
nicht wehrlos zu werden. Aber sie war gut. Sie war clever mit diesem freundlichen Lächeln und den attraktiven Beinen. Wäre er durch Brandons Besuch nicht vorgewarnt gewesen, wäre er ihr vielleicht ins Netz gegangen und eingewickelt worden, ehe er den wahren Grund ihres Besuches erkannt hätte.
Klick, klick - seine Fingernägel pickten an dem Metall herum. Einer blutete. Er konnte es fühlen, doch er ließ die Hände im Schoß. Er gab sich ruhig, aber die Angst überwältigte ihn fast, riss an seinen Magenwänden und versuchte ihm erstickend in die Kehle zu steigen.
Er sah der Frau in die Augen, sah ihr Lächeln und blickte rasch zur Seite. War das ihre Geheimwaffe? Benutzte sie ihre Augen, weil sie ihn mit der Stimme nicht hypnotisieren konnte? Er fragte sich, wie sie ihn töten wollte, sah an ihrem Körper entlang und suchte nach Ausbuchtungen in der Kleidung.
Die Wachen hätten ihr alles mitzunehmen gestattet. Die wollten nichts damit zu tun haben, selbst wenn sie sie hätten aufhalten können. Schließlich hatte Vater gepredigt, dass die mit der Sonne bekleidete Frau über besondere Macht verfügte, laut Evangelium des Johannes, Offenbarung 12,1-6. Sie war Licht und Schatten, gut und böse. Sie war eine Botin des Satans und konnte sich leicht tarnen.
Plötzlich erinnerte sich Eric an einen Zeitungsartikel, den Vater ihnen vor Monaten vorgelesen hatte. Kirchenmitgliedern war das Lesen von Zeitungen oder Magazinen nicht gestattet. Das war gut so, da Vater die Bürde auf sich nahm, jene Nachrichten an sie weiterzugeben, die wichtig waren und aus vertrauenswürdigen Quellen stammten.
Eric erinnerte sich an die Geschichte vom Besuch eines ausländischen Diplomaten irgendeines bösartigen Regimes. An den Namen des Landes konnte er sich nicht erinnern. Der Diplomat war jedenfalls in seinem Bett umgebracht worden. Laut Zeitungsberichten, als seine Mörderin rittlings beim Sex auf ihm gesessen und gewartet hatte, dass er kam. Dann schnitt sie ihm die Kehle durch. Für Vater Joseph war das ein Beispiel geübter Gerechtigkeit gewesen. War ihm durch diesen Vorfall die Idee gekommen, diese Frau zu schicken?
Eric bemerkte, wie sie mit dem Radiergummi des Bleistiftes auf den Notizblock trommelte, der zur Tarnung, ohne eine einzige Notiz auf dem Tisch lag. Der Bleistift war frisch angespitzt worden, die Mine war wie ein Dolch. Er konnte einige Worte aus ihrem Munde verstehen. Worte wie Hilfe und Kooperation. Doch er wusste es besser, er ließ sich nicht von ihren Codeworten einfangen. Genauso gut hätte sie töten und verstümmeln sagen können. Er kannte die wahre Bedeutung.
Tap, tap, tap - er beobachtete den Bleistift und versuchte nicht darauf zu achten, dass ihm die schiere Panik die Luft aus den Lungen quetschte.
Er zwang sich, der Frau in die Augen zu sehen. Schon einmal hatte er Satan überlistet. Konnte er das wieder schaffen?
45. KAPITEL
Gwen rückte sich auf ihrem Stuhl zurecht und schlug die Beine wieder übereinander. Pratt beobachtete sie und starrte ihr auf die Beine. Der aufgegeilte Flegel hatte ihr kein bisschen zugehört. Hatte sie seine anfängliche Reaktion, diesen panisch ängstlichen Blick bei ihrem Eintreten, fehlgedeutet? Wenn es nicht Angst gewesen war, was hatte der Blick dann ausgedrückt? Hatte sie sich geirrt? Wollte der Junge gar nicht überleben und eine sichere Zuflucht finden?
Er hatte ihr keine Frage beantwortet. Stattdessen sah er überall hin, nur nicht in ihre Augen, als wäre sie Meduse und ihr Anblick ließe ihn zu Stein erstarren. Oder hasste er Psychologen? Vielleicht hatte er Seelenklempner satt und misstraute Autoritätspersonen generell?
Ihr kam der Gedanke, ob der wahre Grund für seine Abwesenheit und sein Ausweichen nicht eher die Furcht war, sie könnte eine Macht ausüben, der er sich nicht gewachsen fühlte.
Wenn diese Theorie stimmte, dann wurde Eric Pratt schon seit geraumer Zeit von jemandem gedanklich manipuliert. Er war zur Marionette geworden, bereit zu töten und getötet zu werden. Dieser Jemand - vielleicht Reverend Joseph Everett - übte auch jetzt noch in der Haft starken Einfluss auf Eric aus. Immerhin hatte irgendwas den Jungen veranlasst, die Zyanidkapsel auszuspucken. Der Selbsterhaltungstrieb hatte gesiegt. Sie musste ihren Instinkten folgen und darauf bauen, dass sein Überlebenswille stärker war als die Angst vor Everett.
„Du bist ein Überlebenskünstler, Eric. Deshalb gibt es dich noch. Ich möchte dir helfen. Glaubst du, dass ich dir helfen
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