Maggie O'Dell 03 - Schwarze Seele
Patterson einen Schuh an, wobei er ihren Knöchel hielt und aussah wie ein Märchenprinz. Was Tully nur daran erinnerte, wie wenig er diesen Typ mochte oder Typen wie ihn. Morrelli wandte sich ihm zu, blieb auf dem Knie und machte eine Geste, ihm den anderen Schuh zu reichen. Tully tat es.
Als er zu Dr. Patterson sah, merkte er jedoch, dass sie ihn beobachtete und nicht Morrelli.
47. KAPITEL
West Potomac Park,
Washington, D. C.
Maggie blieb an der Trinkwasserfontäne stehen und nahm langsam ein paar kräftige Schlucke. Der Nachmittag war für November ungewöhnlich warm geworden. Sie war noch nicht weit gelaufen, als sie ihr Sweatshirt ausgezogen und um die Taille gebunden hatte.
Jetzt band sie es los und wischte sich damit den tropfenden Schweiß von der Stirn und das Wasser vom Kinn. Dabei sah sie sich um, schaute die Mall hinauf und hinab und suchte die Frau, mit der sie gesprochen hatte. Die hatte ihr zwar eine lange Liste mit Verhaltensregeln gegeben, aber keinen einzigen Hinweis darauf, wie sie selbst aussah.
Maggie fand die Holzbank auf dem Rasen mit Blick auf die Vietnamwand, wie die Frau es beschrieben hatte. Sie stellte den Fuß auf die Rückenlehne der Bank und begann ihre Beinmuskulatur zu strecken, was sie selten tat, weil es ihr immer an der nötigen Zeit dazu fehlte. Auch diese Übung gehörte zu den gegebenen Anweisungen, verbunden mit der strikten Aufforderung, nichts zu tragen, was sie als Polizistin ausweisen könnte: Kein FBI-T-Shirt, kein auftragendes Holster, keine Waffen, keine Abzeichen, kein Marineblau. Nicht mal eine Baseballkappe oder eine Sonnenbrille.
Maggie fragte sich mal wieder, was es für einen Sinn hatte, mit jemandem zu reden, der derart paranoid war. Wenn sie Pech hatte, bekam sie eine verschrobene Sichtweise aufgetischt, eine Verzerrung der Realität. Andererseits konnte sie von Glück sagen, dass Cunningham und Senator Brier jemanden aufgetan hatten, der zum Reden bereit war. Ein Assistent in Senator Briers Büro hatte die Frau ausfindig gemacht. Obwohl sie reden wollte, hatte sie auf Anonymität bestanden. Damit hatte Maggie kein Problem, solange die Frau, ein Exmitglied von Everetts Kirche, ihr einen deutlicheren Eindruck vom Reverend verschaffte, als sie ihn aus den FBI-Akten bekam. Ihre Mutter war leider auch keine glaubhafte Informationsquelle.
Viele Schüler wanderten die Stufen des Lincoln Memorials hinauf und schlängelten sich um die Bronzeskulpturen und Denkmäler für die Veteranen des Koreakrieges und die Frauen des Vietnamkrieges. Schulausflüge. War Emma Tully nicht auch deshalb hier gewesen? November war wohl Hauptsaison für Schulausflüge, obwohl ihr erzieherischer Wert den meisten Schülern offenbar entging. Touristen waren derzeit sogar in der Minderheit.
Dann entdeckte Maggie sie. Die Frau trug verwaschene, zu weite Jeans für ihre große schlanke Gestalt, ein langärmeliges Karohemd und eine dunkle Fliegerbrille. Ihr langes braunes Haar war zum Pferdeschwanz gebunden. Maggie sah, dass sie, wenn überhaupt, nur wenig geschminkt war. Sie hatte eine Kamera um den Hals hängen und einen Rucksack über einer Schulter, blieb stehen und pauste mit Papier und Bleistift etwas von der Wand ab.
Sie wirkte wie eine normale Touristin, die ihre Reise damit beendete, einem geliebten Angehörigen, einem gefallenen Soldaten ihren Respekt zu zollen. Die Frau pauste dreimal etwas ab, ehe sie herüberkam und sich auf die Bank neben Maggie setzte. Sie holte ein in Wachspapier eingewickeltes Sandwich aus ihrem Rucksack, einen Beutel Doritos und eine Flasche Wasser. Wortlos begann sie zu essen und blickte über den Park. Maggie fragte sich, ob sie sich geirrt hatte und dies doch nicht ihr geheimnisvoller Kontakt war, und schaute zu den Touristen an der Wand hinüber. Hatte die Frau ihre Meinung geändert und war gar nicht gekommen?
„Kannten Sie einen von denen, der auf der Wand steht?“ fragte die Frau, ohne Maggie anzusehen, und trank ihr Wasser.
„Ja“, bestätigte Maggie auf die verabredete Frage hin. „Mein Onkel, der Bruder meines Vaters.“
„Wie hieß er?“
Der Wortwechsel war beiläufig wie eine zufällige Begegnung zweier Menschen auf einer Bank vor einem Denkmal, das jeden Amerikaner irgendwie berührte. Ein alltäglicher Wortwechsel und doch so schlau gemacht, dass Frage und Antwort eine eindeutige Identifizierung ermöglichten.
„Er hieß Patrick O’Dell.“
Die Frau wirkte weder erfreut noch besonders interessiert und nahm ihr Sandwich wieder
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