Magical
unterdrückte ich das Bedürfnis, diese Hand tröstend zu drücken. Stattdessen ballte ich meine Hand so fest zur Faust, dass sich meine Fingernägel in die Handfläche gruben. »Fürchtet Euch nicht, Hoheit. Mutter befragt Euch nur zu einem historischen Ereignis. Das fragliche Massaker hat sich bereits vor vielen Jahren zugetragen.«
Und warum fragte Mutter Prinzessin Maria Teresa über ein Massaker aus, das vor über hundert Jahren stattgefunden hatte? Nun, wie ihr vielleicht bereits festgestellt habt, war Mutter ein wenig schwierig und konnte sich in einer Unterhaltung nicht auf Themen wie Ballett, Kleidung und das Wetter beschränken.
»Ja.« Mutter nickte, und ihr Kinn berührte dabei den Spitzenkragen. »Vor vielen Jahren. Und zwar in welchem Jahr genau?«
Natürlich kannte ich dieses Thema von vorne bis hinten und wollte gerade 1572 sagen, aber Mutter hob die Hand.
»Ich frage die Prinzessin, lieber Louis. Eine künftige Königin Frankreichs muss über gründliche Kenntnisse unserer Geschichte verfügen.« Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Maria Teresa zu. »Also, welches Jahr?«
Auch ich wandte die Aufmerksamkeit Maria Teresa zu, deren weiße Haut sich auf attraktive Weise rosa färbte. Ich hatte von Leuten gehört, die sich ohne Worte verständigen konnten, deshalb dachte ich an die Jahreszahl 1572. Ich dachte angestrengt daran. Die Prinzessin starrte mich an und es schmeichelte mir, dass sie hoffte, Mutter beeindrucken zu können, dass sie hoffte, meine Frau zu werden. Es schmeichelte mir außerdem, dass dies nicht hauptsächlich daran lag, dass Frankreich ein großes und mächtiges Land war, sondern daran, dass sie mich attraktiv fand.
Es funktionierte! Die Prinzessin starrte mich an und sagte: »Ich glaube, das war fünfzehnhundert …«
Ich hielt den Atem an.
»Siebenundzwanzig!«, schloss sie.
»Nein!« Ich konnte das Stöhnen, das aus meinem Mund kam, nicht unterdrücken.
»Nein!«, trumpfte Mutter auf. »Es war fünfzehn-zweiundsiebzig!«
Prinzessin Maria sah von meinem niedergeschmetterten Gesicht zu Mutters triumphierender Miene und sagte: »Oh, na ja, das habe ich auch gemeint. Ich habe nur die beiden Ziffern verwechselt.«
»Ja, Mutter«, sagte ich. »Sie hat nur zwei Zahlen verwechselt. Es war fast richtig.«
Mutter lachte. »Ein Datum, lieber Louis, kann nicht fast richtig sein. Es ist entweder ganz richtig oder ganz falsch, und in diesem Fall …«, sie warf einen vernichtenden Blick auf Maria Teresa, » … war es falsch.«
Prinzessin Maria Teresa sah von mir zu Mutter und schien die Tragweite dessen, was geschehen war, nicht zu begreifen. Doch ich verstand. In Frankreichs Zukunft würde es noch eine weitere verärgerte spanische Prinzessin geben. Ich würde Maria Teresa nicht heiraten.
Ich hätte sie daran hindern sollen zu gehen, aber das tatich nicht. Ich war ein gehorsamer Sohn, der seiner Mutter gegenüber respektvoll war. Um ehrlich zu sein, bemitleidete ich sie. Sie hatte schon genug Ärger mit meinem treulosen Vater, da brauchte sie von mir nicht noch mehr Schwierigkeiten.
Deshalb träumte ich stattdessen viele Wochen lang jede Nacht von Maria Teresa – bis zur Ankunft von Prinzessin Eleonora von Savoyen.
Eleonora war eine Cousine ersten Grades meines Vaters, deshalb sollte man annehmen, dass wir höflich zu ihr gewesen wären. Falsch gedacht.
Eleonora war hübsch, wenn auch nicht so hübsch wie Prinzessin Maria Teresa, und nett, wenn auch nicht so nett wie Maria Teresa. Sie kannte die Musik von Rameau nicht, aber ihre Augen leuchteten auf, als ich das Ballett erwähnte. Und so sagte ich, als ich einen Augenblick lang mit der Prinzessin allein war: »Kennt Ihr unsere Geschichte? Soll ich Euch vielleicht etwas über die Bartholomäusnacht erzählen?«
Die Prinzessin lachte. »Ich habe von der Prüfung gehört, und meine Gouvernante hat mich zu diesem Thema gründlich abgefragt.«
Ich schwebte vor Glück. Die Prinzessin war schön und klug und darüber hinaus auch noch darauf vorbereitet, Fragen zu wissenswerten Details der französischen Geschichte zu beantworten. Sie gefiel mir nicht so gut wie Maria Teresa, aber mit der Zeit würde ich sie mögen. Da war ich mir sicher. Wir könnten auf einem Ball zu ihrenEhren unsere Verlobung bekannt geben und am Ende würde meine fürchterliche Einsamkeit enden.
Aber beim Abendessen schluckte Mutter einen Bissen Taube hinunter und sagte: »Wenn man unseren feinsten französischen Wein in die Kolonie New York verschiffen
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