Magie der Schatten 1 - Barshim und Cashi
sie auf und leitete sie um. Er beobachtete, wie er tief in die Haare des Mädchens griff und um sie herum wirbelte. Cashimaé breitete die Arme aus und lachte laut auf. Der Wind spielte mit ihr, doch Barshim wusste instinktiv, eines Tages würde es anders herum sein.
»Barshim!« Filymas laute Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Nach einem letzten Blick wendete er sein Reittier und folgte seiner Mutter. Er konnte das Glitzern der Tränen, die wie kleine Diamanten von Cashimaés Wangen perlten, nicht mehr sehen. Der Wind nahm sie auf und trug sie fort. Am Rande des Hügels war sie stehen geblieben. Die Hände fest gegen die Brust gedrückt, das Medaillon umklammernd.
Sie würden sich wiedersehen.
*
Cashimaé kam erst spät nach Hause. Ihre Wangen glühten und in ihren zerzausten Haaren hingen Blätter und Gräser. Shorbo fragte nicht, wo sie gewesen war. Er fragte auch nicht nach ihren Schuhen. Ihre Füße waren nackt.
Heute war etwas geschehen. Das wusste er. Nicht allein durch die Magie. Ihre Blicke, ihre Bewegungen sprachen von einer erwachsenen Frau, die sie noch nicht war und als sie vor ihm saß, stockte ihm der Atem. Sein Blick fiel auf das Schmuckstück an ihrem Hals. Mit absoluter Sicherheit wusste er, dass die Vergangenheit sie eingeholt hatte.
In dieser Nacht schlief das Kind tief und fest. Ihre Hände hielten das Medaillon umklammert, das auf ihrer Brust ruhte.
* Auf Ewig
Kapitel 7
Wenn man sich wünscht, die Zeit würde langsam vergehen, scheint sie sich ein Spiel daraus zu machen und genau das Gegenteil vom Gewünschten zu tun.
Die Jahre flogen unaufhaltsam dahin. Cashimaé lernte fleißig, was Shorbo ihr beibrachte. Wenn er zwischenzeitlich allein nach Comoérta reiste, um seinen Aufgaben als Kreisführer nachzugehen, kümmerte sich die Amme aus dem Dorf um das mittlerweile zwölfjährige Mädchen. Der alte Magier wusste, dass die Zeit kommen würde, in der er das Kind auf die Schulen der großen Stadt schicken musste. Doch versuchte er es soweit wie möglich hinauszuzögern. Ihre Unbeschwertheit, ihre Leichtlebigkeit, all das fürchtete er zu verlieren. Jedoch wusste Shorbo auch, dass er sie nicht auf ewig verstecken konnte und er das Unvermeidliche nicht verhindern konnte. An dem Tag, als er begriff, dass er mit seinem Handeln wieder in die Geschichte eingriff, rief er Tamin zu sich und bat ihn, im kommenden Frühling nach Baitimes zu reisen, um Cashimaé in den Grundregeln der Magie zu unterrichten.
Zwar bemühte sich Karaz sehr in der Abwesenheit des Kreisführers, alle Aufgaben gewissenhaft zu erledigen. Jedoch blieb viel Arbeit liegen. Karaz fühlte sich der großen Verantwortung noch nicht ganz gewachsen. Deshalb versprach Shorbo, im Herbst in die Schulhallen Natriells zurückzukehren und sich wieder voll und ganz den Belangen der Alten Welt zu widmen. Und für Cashimaé wurde es Zeit, von anderen unterrichtet zu werden.
*
Der Winter war viel zu kurz und bald schon schmolz der Schnee und gab die Wege wieder frei. Auf den Seen brach das Eis. Von den Bäumen fielen die Eiszapfen herab. Sie zerschlugen wie Tausende Diamanten auf dem Boden.
Tamin lenkte seinen Hengst vor das kleine Haus mit dem niedrigen Dach. Sein Atem verursachte kleine Dampfwolken. Er betrachtete missbilligend die Umgebung. Nichts anderes hatte er seinem Kreisführer zugetraut. Sicherlich besuchte er Shorbo gerne, aber gerade jetzt würde er seine Zeit lieber in den warmen Hallen Natriells verbringen. Hier gab es nichts außer Wald und Wiesen. Ein Stück weiter den Hang hinunter konnte man Rauchschwaden aus dem Dorf erkennen. Tamin stieg ab. »Was für eine trostlose Gegend.«
Damals hatte er geglaubt, Shorbo würde das Kind in Comoérta groß ziehen und nicht in dieser Wildnis. Jetzt konnte er nur hoffen, dass sich diese Reise auch lohnen würde und Cashimaé endlich die Fähigkeit zur Magierin entwickelte. Oder versteckte der alte Mann das Mädchen etwa hier, weil sie wirklich eine Kopfblinde war? Tamin trat mit den schweren Stiefeln vor die Tür und klopfte laut und kräftig an.
Als diese geöffnet wurde, verbeugte er sich sofort. »Komm rein, Tamin, damit die Wärme nicht verfliegt.« Shorbo trat einen Schritt zur Seite, um den Freund ein zu lassen. Tamin zog seinen schweren Wollmantel aus und hängte ihn neben die Tür. Im Inneren schlug ihm eine behagliche Wärme entgegen. Das Feuer im Kamin loderte. Shorbo schritt zu einem großen Holztisch, an dem er arbeitete. Er wies auf die Bank und auf einen Becher mit
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