Magie der Schatten 1 - Barshim und Cashi
fällt es dem Kind schwer, sich an Regeln zu gewöhnen. Ich befürchte, wenn sie jetzt nach Comoérta käme, wäre es ein kultureller Schock für sie.«
»So, so.« Der alte Mann schaute wieder in die Ferne. »Was schlägst du vor?«
»Ich würde gerne hier bleiben und sie mit den Kindern aus dem Dorf zusammen unterrichten, sodass sie nur noch die Grundprüfung in Comoérta ablegen bräuchte. Es bliebe genug Zeit, ihr alle Regeln beizubringen und sie behutsam an das Zusammensein mit anderen zu gewöhnen.«
Shorbo beugte sich vor und klopfte seine Pfeife in einem kleinem Bottich aus, der auf dem Tisch stand. »Und du würdest den Lärm, die vielen Menschen, die Wichtigkeit deiner Position und alles, was damit zusammenhängt, dafür aufgeben? Mit welcher Begründung?«
Tamin erhob sich abrupt. »Muss es für alles Erklärungen geben?«, brauste er unfreundlich auf und sog scharf Luft ein. »Ich frage ja auch nicht dauernd, woher ich komme.« Erst jetzt merkte er, dass er sich in der Tonlage vergriffen hatte. »Verzeiht ehrenwerter Kreisführer, ich mag dieses Kind einfach und ihre Leichtigkeit nimmt mir meine schweren Gedanken.« Der Magistratero verbeugte sich kurz und knapp und ließ den Kreisführer allein zurück.
Shorbo stopfte in aller Ruhe seine Pfeife neu. Er dachte über Tamins Worte nach. Seine Herkunft, ja, das belastete ihn. Tamin hatte vor fast 25 Jahren sein Gedächtnis verloren. In einem Kampf auf Leben und Tod. Der junge Mann stellte keine Fragen deswegen, er lebte im Hier und Jetzt und das sehr erfolgreich. Shorbos Lippen entglitt ein Laut der Belustigung, während seine Gedanken in die Vergangenheit schweiften. Savinama, der Kreisführer Liyiells, war es damals gewesen, der die Alte Welt vor dem Untergang bewahrte. Seit jenem Tag versuchte Savinama, dem Magier ein Freund zu sein, während Tamin dem Kreisführer Liyiells überhaupt keine Sympathien entgegenbringen konnte, ohne dies begründen zu können. Savinama hatte jegliche Erinnerungen von Tamin verbannt und dadurch waren selbige fast vollständig verloren gegangen. Oh ja, Shorbo kannte die wahre Geschichte der Alten Welt. Von ihnen allen. Er war ein Teil von ihr und er hatte geschworen, sich in Zukunft nicht mehr einzumischen
Er durfte es nicht mehr, also blieb ihm nichts als Schweigen.
Der Belustigung folgte Nachdenklichkeit. Der alte Magier entzündete seine Pfeife erneut und lehnte sich mit dem Rücken zurück. Sein Blick verlor sich wieder in der Weite und eine Entscheidung reifte. Er würde Tamins Vorschlag zustimmen und noch ein paar letzte Jahre mit dem Kind, das bereits zur Frau heran wuchs, geschenkt bekommen. Ganz tief in seinem Herzen ahnte er, dass sich, wenn sie nach Comoérta reisten, alles ändern würde.
- Manchmal ist die Zeit keine Schwester
,
sondern ein Gevatter
,
der auf seinem schwarzen Drachen über den Himmel jagt
-
*
Die Zeit flog so schnell dahin, wie es nur Drachen konnten.
Tamin fand Spaß darin, die Kinder des Dorfes, die nie in den Genuss einer solch hohen Ausbildung gekommen wären, in der Grundmagie zu unterrichten. Wohl fiel ihm auf, dass sich Cashimaé oft langweilte und in Gedanken weit fort war. Fünf Jahre entglitten der Sanduhr, als habe das Glas Risse. Eine Zeit, in der sich Tamin immer mehr um das Mädchen gekümmert und sie begonnen hatte, sich ein Stück weit von Shorbo zu entfremden, denn die meiste Zeit verbrachte er in der großen Stadt am Meer.
Cashimaé kannte die Stadt nur aus Büchern. Hatte gelesen, dass ihr Ziehvater eine Art Herrscher des Landes Natriells war und dass die Kreismitglieder mit ihm gemeinsam Entscheidungen trafen. Wenn der große Kreis zusammen kam, bestehend aus allen Mitgliedern des hiesigen Landes und jenseits des Meeres aus Liyiell, wurden Entscheidungen über die Alte Welt gefällt. Sie hatte erfahren, dass es Hexer und Hexen gab, Menschen, die als Kopfblinde bezeichnet wurden und die sich ein wenig Zauberei aneigneten. Die Kapitel, in denen erklärt wurde, was diese Wesen wirklich waren, überblätterte Cashimaé. Es las sich einfach zu langweilig, auch wenn Tamin immer wieder versuchte, ihr einzutrichtern, dass sie das unbedingt studieren müsse. Dort könne sie lernen, wie sie sich vor dem Geist dieser Wesen schützen konnte. Denn ein Magier empfand sie wie schwarze Löcher, in die man hinein fallen konnte. Kalt und schmerzend, so wie die Shalas. Was waren noch die Shalas? Das stand in irgendeinem der Bücher. Auch das musste Cashimaé noch nachlesen und
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