Magie der Schatten 1 - Barshim und Cashi
Was sie tat, tat sie mit kindlicher Naivität. In diesem Vergleich der Tiere wäre Shorbo die Henne.
Tamin betrachtete ihre großen Augen mit den langen Wimpern, die hohen Wangenknochen, die ihr jetzt schon einen markanten Zug verliehen.
Wenn sie wirklich eine Elementar-Magierin war, dachte er, konnte man es ihm nicht einfacher machen, ihr Wissen auf ihn zu übertragen. Tamin betrachtete sich in dieser Sekunde als den Fuchs, der um das Gehege wanderte und auf den richtigen Moment wartete. Und sollte sie keine Magierin sein, so stand zumindest ein bildhübsches Mädchen vor ihm, mit der er sicher eines Tages eine Menge Spaß haben konnte.
Er wandte sich um und strahlte den Kreisführer an. »Ich werde auf sie achtgeben, sie beschützen mit meinem Leben, ehrenwerter Shorbo, und euch nicht enttäuschen.«
Shorbo beobachtete, wie Tamin das Mädchen bei der Hand nahm und sie zu einem Tisch vor dem Kamin führte. Darauf lagen einige Lehrbücher. Der Magier wollte sich einen Eindruck verschaffen, wie weit sie bereits war.
Der Kreisführer wusste nicht, was er von der plötzlichen Begeisterung halten sollte, doch die Worte klangen ehrlich. Am Ende bezog er es darauf, dass er niemanden kannte, der nicht ihrem Zauber erlegen war.
So konnte er sich unbekümmert auf das Treffen des Kreises vorbereiten.
Kapitel 8
Nach Shorbos Abreise bemühte sich Cashimaé, Tamins Forderungen zu verstehen, doch je mehr sie sich bemühte, umso schwerer fiel es ihr, ihm zu folgen. Mit jedem Tag, der verging und sie tiefer in den Grundregeln unterrichtet wurde, misslangen ihr die leichtesten Übungen.
»Ich versteh das nicht, Tamin«, rief sie eines Tages verzweifelt.
»Was ist denn daran nicht zu verstehen? Du sollst dich doch nur in die Energien dieser Blume fallen lassen, dich mit ihr verbinden, sie verstehen und verwelken lassen.«
Cashimaé ließ sich trotzig auf den Boden fallen. »Warum soll ich denn etwas, was die Natur geschaffen hat, nur wegen meinem Willen zerstören? Das ist doch unlogisch.«
Der Magier seufzte und setzte sich ihr gegenüber. Die Hände legte er dabei in den Schoss. »So unrecht hast du natürlich nicht, aber um die Magie zu verstehen und sie korrekt anwenden zu können, bedarf es manchmal Übungen, die uns nicht gefallen.«
Cashimaé kaute nachdenklich auf der Unterlippe. »Aber wieso soll ich sie verstehen lernen, ich höre sie doch.« Damit hob sie das Samenkorn einer Blume vom Boden, das der Wind hierher geweht hatte. Sie formte die Hand zu einer Mulde und blies sanft hinein. Ein kindlich verschmitzter Zug legte sich auf ihr Gesicht, ehe sie die Hand zurückzog und eine lavendelfarbene Blüte sichtbar wurde.
Tamin sah sie an. »Genau das meine ich. Jetzt musst du mir allerdings erklären, worin der Unterschied zwischen deiner und meiner Übung liegt?«
Das Mädchen sprang auf die Füße. »Deine Aufgabe ist doof, meine ist schön.« Sie verschwand lachend in den Gräsern. Der Magistratero nahm zwei Bücher vom Boden und stand schließlich auf. Er konnte ihr einfach nicht böse sein. Zu sehr faszinierte ihn, mit welcher Leichtigkeit sie Dinge einfach geschehen ließ. Es musste an ihrer Unbekümmertheit liegen. Sie dachte nicht darüber nach, was sie tat. Das Kind war in seiner Unschuld eins mit der Natur und handelte, wie es Lust hatte. Der Magier begriff aber auch, je mehr er ihr diese Unschuld nehmen würde, umso schwerer würde ihr Zugang zu den Elementen werden.
Was Tamin nachdenklich stimmte war, dass sich Cashimaé immer mehr zurückzog, wenn eine Aufgabe misslang, oder weglief, so wie eben. Das Küken, das zurück in seine Schale schlüpfen wollte oder unter den Schoß der Henne. Tamin begriff, er selbst musste das Sinnbild der Henne für das Mädchen werden und Comoérta war dafür der falsche Ort. Dort war die Ansammlung an Füchsen einfach zu groß.
*
Einige Wochen später kehrte Shorbo aus Comoérta zurück. Er sah müde und abgekämpft aus und Tamin kümmerte sich aufopferungsvoll um seinen Kreisführer. Nach einem besonders heißen Tag saßen sie zusammen vor dem Haus und betrachteten die Weite.
»Sage mir, Tamin, wie entwickelt sich mein kleines Mädchen?« Der Magier nahm einen Schluck von dem Wein und lehnte sich zurück.
»Ich wollte sowieso mit euch darüber sprechen. Sie entwickelt sich gut, es gibt allerdings etwas anderes, was mir Sorge bereitet.«
Shorbo horchte auf. »Was?«
»Bitte verzeiht meine Offenheit, aber durch die lange Zeit, die sie hier alleine aufgewachsen ist,
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