Magie der Schatten: Roman (German Edition)
Abständen zeigten erlegte Tierkadaver oder Asche von Feuerstellen, dass sie auf der richtigen Fährte waren.
Sie sahen auch die Städte wieder, die vorher grausame Kunstwerke aus dunklen Träumen gewesen waren. Jetzt standen an ihrer Stelle tatsächliche Ruinen. Zerstörte Straßen, eingestürzte Bauten … aber nichts, das nicht von Menschenhand errichtet worden war.
Die Tage und Wochen vergingen so rasch, dass sie es kaum glauben konnten, als am Horizont eine Erhebung mit Umrissen von Häusern in der Landschaft auftauchte. Zweibrück.
Neue Gebäude standen auf dem Plateau, und durch die Trümmer der Ruinen zwängten sich die Spitzen von Grashalmen. Rankpflanzen umschlangen geborstene Holzbalken und bewuchsen die Spalten in den Wänden.
Auch durch den Boden der beschädigten Kirche lugten Gräserspitzen, und am Rand der Schlucht dicht dahinter breitete sich ein schillerndes Feld aus Blumen aus.
Die Menschen in Zweibrück betrachteten sie wie zwei Geister, aber sie hatten keine Zeit für Erklärungen. Nur einen Menschen gab es, zu dem Raigar noch wollte.
***
Mihiko pflückte auf dem Feld hinter der Kirche Blumen mit roten Blütenblättern, die an einen in Falten liegenden Kaisermantel erinnerten. »Er ist hier gewesen, der Schattenherrscher. Im Körper eines jungen Mannes.« Sie lächelte. »Ihr könnt hierbleiben. Der Schatten ist fort, und seitdem kehrt Leben in das Land zurück.«
»Dafür verliert ein anderes Land sein Leben vielleicht in diesem Augenblick«, sagte Raigar.
Elarides nickte. »Irgendetwas, das wir nicht verstehen, hat den Schatten aus diesem Land vertrieben. Aber der Schattenherrscher und sein Diener suchen sich einen anderen Ort, den sie nun verpesten können. Und sie haben unsere alten Begleiter bei sich.«
»Wollt ihr gehen, um den Menschen Hoffnung zu bringen?«, fragte sie und drehte den Stengel der Blume zwischen den Fingern. Die Blütenblätter verschmolzen in der Drehung zu einem roten Wirbel.
Elarides sah Raigar an.
»Das klingt fast poetisch«, sagte er. »Ich würde gerne sagen: Ja.«
Aus der Blume in der Hand der Priesterin löste sich ein Blütenblatt und segelte nach Osten, vom warmen Wind getragen.
Kapitel 24:
TRÄNEN
Der Kaiser betrachtete das Blütenblatt in seiner Hand lange, dann blies er es die Wehrmauer hinab. Es segelte über die Zinnen und verfing sich schließlich in der Krone eines Baums nahe dem Wall.
»Alle haben die Order empfangen, Vater.« Lavar kam die Treppe herauf. Die Sonne ließ seine Rüstung schimmern. In den Straßen unter ihm rumpelten die schweren Räder von Katapulten, vorangeschoben von Dutzenden Männern. Auf dem Holz der Wurfarme prangten Schnitzereien, die ihnen den Anschein von menschlichen Armen gaben. Die Hände waren für das Wurfgeschoss vorgesehen. Es war ein Mittel gegen die wilden Völker des Ostens, die hinter einer Mauer von einem Katapult nur den hinaufschnellenden Arm sehen konnten und ihn für das leibhaftige Gliedmaß eines Riesen hielten.
»Ja, sie sollen alle hierher ans Westtor kommen. Es wird keinen Sinn haben, die Verteidigung an einem der anderen Tore vorzubereiten.«
»Vater, ich weiß nicht, ob es überhaupt sinnvoll ist, eine Verteidigung vorzubereiten gegen einen Feind, von dem wir nicht mal wissen, ob er überhaupt existiert.«
»Lavar.« Der Kaiser legte seinem Sohn einen Arm um die Schulter, härter als nötig, und führte ihn an den geschäftigen Truppenkommandeuren vorüber, die mit ihren Fingern unsichtbare Linien auf Karten von Weigrund und Umgebung zogen. »Ich habe dich losreiten lassen, und was hast du mir gebracht?« Er blickte in die Ferne, als könnte er es dort sehen. » Mir hast du nichts gebracht. Einigen Pferden und Männern hast du den Tod gebracht und den Mördern aus meinem alten Heer eine Warnung, die nicht deutlicher hätte ausfallen können.«
Lavar senkte den Kopf. »Die Soldaten rüsten sich für eine Schlacht, die Schmiede fertigen neue und schärfen die alten Waffen, aber alle tuscheln sie dabei schon über Euch. Sie zweifeln an Euch.«
Weider lachte, und es klang mehr nach einem kränklichen Husten. Wie seit vielen Jahren. »Ja, tun sie das? Dann ist das wohl der Grund, weshalb sie die Untertanen sind und ich ihr Herrscher.«
Einige Bogenschützen standen in einer Reihe auf der Mauer und schossen auf den Befehl eines Offiziers. Die Pfeile sirrten in die Blätter eines nahen Baums und brachten sie zum Rascheln. Ein einziger Pfeil durchstieß einen Apfel. Fruchtsaft spritzte, und
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