Magie der Schatten: Roman (German Edition)
schon an der Schlucht töten sollen, und auch den Kaiser, und am besten hättest du jeden getötet, der dir auf dem Weg hierher begegnet ist.«
Raigar stützte sein Gesicht in die Hände. Es fühlte sich so schwer an. »Ich kann nichts wiedergutmachen.«
»Wiedergutmachen? Nein. Brakas ist tot . Der hat nichts mehr davon.« Elarides nahm einen kleinen Stein und warf ihn über die Klippe. »Na, wie war das? Wir waren in deinem Albtraum.«
Raigar stand mühsam auf. Er ging die Klippe entlang bis zum Abgrund.
»Ich habe nicht vergessen, was du mir damals in Zweibrück erzählt hast«, sagte Elarides. »Über deine Mutter und die Wüste. Aber du schon, glaube ich.«
»Es ist wohl nur gerecht, dass du mich damit quälst wie ein Schwein«, sagte Raigar. »Aber glaub mir, an den Albtraum kommst du nicht heran.« Er wandte sich ab. »Geh, kleiner Prinz. Du warst nicht in meinem Traum.«
»Ich gehe nicht, bevor ich nicht weiß, was du vorhast.«
»Du hast gesehen, was ich in der Steinernen Rose getan habe.« Er beobachtete die Wellen tief unter sich. Ihre Kämme glänzten in der Morgensonne. »Ich kann das nicht wiedergutmachen.« Er beugte sich nach vorn.
»Nein«, rief Elarides. Er schrie fast. »Vergiss es! Du bleibst schön hier und bringst mich zurück nach Arland.«
»Was willst du dort noch?«
»Keine Ahnung. Vielleicht werfe ich mich vor die Kutsche, mit der Vicold und dieser Dorian in Richtung Weigrund fahren. Es ist egal. Wenn du nur noch herumsitzt und dich selbst bemitleidest, dann muss ja ein anderer etwas unternehmen. Vicold wird mit seinem neuen Freund das ganze Land zerstören. Jeder einzelne Mensch wird sterben.«
»Ein Junge will ihn aufhalten. Du bist vielleicht ein Königssohn, aber ohne deine Untertanen oder die Macht deines Vaters bist du ein Junge wie jeder andere.«
Elarides trat vorsichtig näher an Raigar heran und hielt seinen Mantelsaum fest. »Keine Ahnung, was ich unternehmen werde. Das fällt mir schon noch ein, und dir fällt auch noch etwas Besseres ein, als dich jetzt einfach fallen zu lassen. Gibt es nicht irgendjemanden, der dich dafür hassen würde, wenn du dich einfach ins Meer wirfst?«
»Ich wüsste keinen. Die Zeit oder der Krieg haben sie alle geschafft. Oder ich selbst.« Raigar schlüpfte aus den Ärmeln des Mantels. Er glitt zu Boden, und Elarides hielt nur noch ein Stoffbündel in der Hand. Raigar knüpfte seine Weste auf.
»Dann hasse ich dich«, sagte Elarides. »Ist das klar? Und ich gehe jetzt nach Arland. Dort wird man mich töten, und dann komme ich dir hinterher, in die Hölle oder irgendwohin, und plage dich bis in alle Ewigkeit. Dagegen kannst du nichts tun. Es sei denn …«
Raigar nahm die Hände von der Weste. Seine ganze Gestalt sackte in sich zusammen. »Verdammter Junge. Ich wünsche dir einen schmerzhaften Tod.« Er drehte sich langsam um. Das Meeresrauschen begleitete die Bewegung. »Ich bringe dich, so weit ich kann, und dann ist mir der Rest egal.«
»Abgemacht. Das soll unser Handel sein.«
»Handel, hm?« Raigar zog ihm den Mantel aus der Hand. »Bei einem Handel gibt jede Partei der anderen etwas, dachte ich.«
»Ich gebe dir dein Leben.«
»Darauf kann ich verzichten.« Der Riese trat von der Klippe zurück. »Ich tue das für dich. Nur dass du das weißt.«
***
In der Morgensonne wanderten sie über Steppengras, das die Ebene um sie herum bis zum Horizont bewuchs. Tagelang liefen sie, und irgendwann brachen auch Blütenknospen aus dem Boden hervor. Niedrige Büsche zeigten sich in der Einöde. Die Knospen öffneten sich und gaben dem Land all die längst vergessenen Farben zurück. Wenn sie hinter sich blickten, stand auch dort schon das dichte Grün, mit Tupfern von Rot, Gelb, Blau … als sei es nie anders gewesen. Wahrscheinlich war es das auch nie. Nur verborgen unter einer Schicht dunkler Trugbilder des Schattenherrschers.
Es dauerte Wochen, aber schließlich entdeckte Elarides die erste Wolke, die über den Himmel zog. Ihr folgten viele weitere. Im wärmeren Wetter, welches das Frühjahr ankündigte, liefen sie durch den ersten Regenschauer, den das Land seit Jahrzehnten gesehen hatte. In der Luft sirrte und flirrte es, und winzige Insekten schwebten über die Blütenkelche, die überall den Boden bedeckten.
Sie gingen jeden Tag jagen und fanden statt der seltsamen Echsenwesen nun Hirsche und Wildschweine.
Welchen Weg Vicold und seine Zerstörer auch genommen hatten, sie blieben außer Sichtweite. Nur in unregelmäßigen
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