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Magie der Schatten: Roman (German Edition)

Magie der Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Magie der Schatten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Lisowsky
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nahm sich zusammen und blieb aufrecht stehen. »Nicht einmal mehr deine eigenen Männer werden dich als Herrscher dulden. Du hast verloren.«
    Vicold schwieg. Haare und Mantelkragen waren bedeckt mit Raigars Blut. Erst jetzt bemerkte Raigar, dass sich sein Blut über die kompletten Unterarme ergossen hatte.
    Von der Treppe näherten sich Schritte über den Blütenteppich, der in Großteilen längst über den ganzen Saal verstreut worden war. Zwei junge Männer durchbrachen die Stille im Raum, Elarides und noch ein zweiter. Verschwommen erkannte Raigar den Prinzen aus Zweibrück wieder. Lavar.
    Die Schmerzen zwangen ihn auf die Knie, und er stützte sich auf den Händen ab. Die Geräusche verloren zunehmend ihren Klang. Vicold flüsterte etwas und sah ihn an. »Ich nehm dich mit.« Er hob das Jagdmesser auf, das Raigar aus seiner Hand gezogen hatte, dann riss er Mund und Augen auf. Eine breite Schwertklinge hatte seine Brust durchstoßen und nagelte ihn an die Säule. Das Gesicht des Prinzen Lavar tauchte über Raigar auf.
    Doch es verschwand wieder, zusammen mit dem ganzen Raum, bis alles nur noch Dunkelheit war.
    ***
    Sein Geist barst schier vor Eindrücken. In einem Stakkato rasten Bilder vor seinen Augen vorüber. Tausend Stimmen flüsterten in seinen Ohren. Lenias Stimme. Lenias Gesicht. Sie war das Schattenmädchen, das ihn nicht in Ruhe gelassen hatte, und er wusste jetzt auch, warum. Schon damals, in seinem früheren, seinem eigentlichen Leben, hatte sie ihn nicht in Ruhe gelassen. Sie hatte ihn bewahren wollen vor dem, was jetzt aus ihm geworden war. Sie hatte ihn nur beschützen wollen. Die ganze Zeit. Aber er, dumm und schwer von Begriff wie ein Stück Backsteinwand, hatte ein Jahrhundert gebraucht, um das zu begreifen.
    Jedes der Bilder war wie eine glühende Zange, die sein Herz packte. Er sah sich selbst, wie er Lenia im Schnee der Stadt ohne Namen fortschickte. Es war nicht der erste und nicht der letzte seiner Fehler. Dann kam seine Gier nach Macht, sein zitterndes Verlangen nach dem Drachen in der Kristallader. Er sah, wie er Lenias Kristallgeschenk zerbrach, und mit ihm etwas in ihrem und in seinem Herzen.
    Weitere Bilder flackerten vorbei, und er stand wie gelähmt vor seiner eigenen Unfähigkeit. Schließlich verblassten sie mit seinem Einmarsch in Weigrund. Er stand wieder auf seinen eigenen Beinen im hohen Gras des Friedhofs. Vor ihm war Lenias Name auf einem Grabstein.
    Dasselbe zitternde Verlangen wie damals in der Mine erfüllte ihn. »Wie?«, fragte er. »Wie hast du so etwas tun können?«
    Sax lehnte an einem flachen Grabstein und hielt sich am dicken Stengel einer gelben Wildblume fest. »Ich verstehe. Dieser Ort und die alte Vettel geben dir die Erinnerung zurück. Ich dachte, ich hätte dem vorgebeugt, indem ich Lenia ewig vor dir verberge, aber die Verbindung zwischen euch muss weit stärker sein, als ich dachte.«
    Nairod zerrte an den Fetzen, die er trug – die er jahrzehntelang getragen hatte. Er riss einen Ärmel von der Schulter ab und warf ihn fort. Schatten schossen aus dem Gras hervor, packten die Fetzen und zerrissen sie wie hungrige Löwenmäuler ihre Beute. »Das Traurige ist: Ich weiß schon längst, wieso du es getan hast. Um selbst leben zu können, hast du ein anderes Leben zerstört.«
    »Nein, Nairod – so heißt du doch nun wieder, nicht wahr? Es ging nicht nur um mein Leben.«
    Erinnerungen strömten in seinen Verstand, die nicht die seinen waren. Zwei Menschen, die miteinander tanzten, in einem Labor. Dem Labor des Glasknochenmanns. Er tanzte dort mit einem Mädchen. Nairod begriff.
    »Hat sie tatsächlich wieder gelebt?«
    »Für mich ja. Mehr als zuvor.«
    »Du hast dich selbst belogen, und der Preis dafür war mein Leben.«
    »Belogen? Die Menschen belügen sich täglich, Nairod. Und wenn es ihnen hilft, wenn es sie glücklich macht, was ist falsch daran?« Sax schüttelte den Kopf. »Du hast deine Unsterblichkeit bekommen. Ich habe deine ewige Jugend im ganzen Reich herumgezeigt. Hast du nicht die Genugtuung empfunden, die du haben wolltest?«
    »Ich habe sogar Genugtuung empfunden, als ich mit meiner Magie Hunderte von Menschen getötet habe. Weil du mir dieses Gefühl eingegeben hast.« Nairod riss sich das Hemd auf und warf die Fetzen den gefräßigen Schatten vor. »Aber ich habe nicht nur von meinem Leben gesprochen, das du zerstört hast, sondern auch von Lenias.«
    »Hoho! Hast du nicht selbst den Zauber gewirkt, der sie in den Kristall gesperrt

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