Magie der Schatten: Roman (German Edition)
protestierende Stimme verhallte. Tränen traten ihm in die Augen. Nein. Er schrie.
»Fühlt es sich schon besser an?«, fragte Sax. »All diese verwirrenden Erinnerungen verlassen dich wieder, und du bekommst deinen Frieden zurück.«
Nairod keuchte, seine Zähne klapperten. Er sandte zwei Schattenstränge aus, die den Wicht vom Boden hoben, bis sie auf Augenhöhe miteinander waren.
»Das wird nichts«, sagte der kleine Mann. »Du kannst mich nicht töten.«
»Ich weiß.« Nairod wischte sich Erde aus dem Gesicht. »Aber etwas anderes kann ich tun.«
Die beiden Arme aus Schatten verbanden sich mit seinen und liefen wie eine körperliche Verlängerung weiter zu dem in der Luft hängenden Erl. Ein Ruck fuhr durch die Schatten, sie schwollen an und strömten zu Sax.
Nairod nickte. »Ich werde dir kein Leid antun. Ich gebe dir nur zurück, was ich von dir erhalten habe.« Er schloss die Augen. Tief in sich grub er nach allem, was eine magische Aura besaß. Keine Unterscheidung, er musste alles hergeben oder gar nichts. Die Mächte wallten hoch. In seinen Ohren dröhnte es, und hinter seinen Augen herrschte ein Druck, als müssten sie gleich herausspringen. Jeden Funken von Magie zerrte er aus sich hervor und machte ihn bereit für die Reise.
Er öffnete die Augen.
»Ich gebe dir alles, was ich habe. Nimm es. Nimm meine Magie, nimm deine Magie. Nimm die Schattenmacht, nimm die Unsterblichkeit. Nimm all meinen Zorn, und nimm alle Tränen, die ich geweint habe.«
Die Magie schoss los. Kreischend, tobend, bebend. Flackernd und glühend. Ein Strom aus Dunkelheit und Helligkeit bewegte sich auf den Erl zu. »Das kannst du nicht …« Die Worte gingen in Schreien unter, die von Sax stammen mochten, vielleicht auch von der Magie selbst.
Nairod knickte ein. Die letzten Funken der Magie vergingen knisternd im Wind, der über den Friedhof wehte. Sax war da. Er torkelte in den Windstößen, die seine Haare verwirbelten. Die Spangen waren herausgefallen, und die Haare wehten frei herum. Mit aufgerissenen Augen blickte er in die Ferne.
»Hat es geklappt?«, fragte Nairod leise. Selbst der kurze Satz kostete ihn unendliche Mühe.
»Geklappt?«, fragte Sax mit einem breiten Grinsen. »Klappt. Klapp-klapp-klapp. Klipp-klapp. Des Wand’rers Schuh auf Bergesgrund. Klipp-klapp.«
Unwillkürlich musste Nairod lachen. »Was soll das?«
»Klipp-klapp.« Sax torkelte zu ihm herüber und dann an ihm vorbei. »Klipp-klapp. Sie klappern … die Schuh. Des Wand’rers Schuh. Klipp und klapp. Klappapp, klippipp. Klippippapp …« Der Erl verschwand zwischen den Büschen.
Nairod kniete allein im Gras. In sich spürte er nur Leere. Dort, wo vorher seine Magiereserven gewesen waren, war jetzt nichts mehr.
Als die Gräser raschelten, sah er auf.
»Du bist ja halbnackt.« Auf einen Stock gestützt, kam eine alte Frau in seine Richtung gehumpelt. Die Frau, die ihn vorhin zum Friedhof geschickt hatte.
Nairod schlang ihr die Arme um die Knie und drückte sein Gesicht dagegen. Seine Tränen befeuchteten den langen Rock. »Ich muss nach Steinheim. Jetzt.«
EPILOG
Der heiße Tee schmeckte nach Wiese und nach Erde. Passend für die Umgebung, in der er sich befand.
Die grünen Wiesen und Felder erstreckten sich endlos vor ihm. Wie jeden Morgen seit vielen Tagen und Wochen zog eine Schafsherde an ihm vorbei. Das Fell der Tiere war schwarz, wenn sie vor Sonnenaufgang vorbeizogen, rot hingegen, wenn die erste Morgensonne schon am Himmel stand und sie beschien. Und manchmal, wenn es schon später Vormittag war, trugen die Schafe tatsächlich weißes Fell.
Was für ein wohliges Gefühl es war, erst spät aufstehen zu müssen und den Tieren zuzuschauen, wie sie über die Weiden zogen. Das hätte er früher nicht gedacht. Wälder in allen Himmelsrichtungen fassten die Idylle ein, so, als ende dort die Welt. Bisweilen glaubte er das, weil er es glauben wollte. Nach allem, was geschehen war, nach so vielen Leben, die genommen worden waren.
Die Frau im Gewand der Heilerinnen stellte Raigar eine Schale mit dampfendem Brei vor die Nase und verbeugte sich. Er bedankte sich und drehte sich um, um noch einen Kommentar abzugeben. Da entdeckte er eine Kutsche, die am Hang unter der Hütte der Heiler stand. Die Heilerin war schon wieder auf dem Rückweg.
Als Raigar sich dem Brei zuwandte, näherte sich jemand seinem Tisch und nahm auf der Bank ihm gegenüber Platz. Ein junger Mann mit goldenem Haar und einem blütenweißen Mantel, der von
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