Magie der Schatten: Roman (German Edition)
sie ging daran vorbei, bis in die siebte Reihe, und setzte sich neben Nairod. Auf ihrer Stirn stand Schweiß. »Was machst du hier?«
»Hm.« Er lehnte sich in dem unbequemen Holzstuhl zurück. »Was machst du hier?«
»Meine Halbjahresprüfung in der Praxis«, sagte sie. Sie klang außer Atem.
»Na gut.« Nairod wechselte den Ball zwischen den Händen hin und her. »Ich habe dein Buch gelesen.«
»Wirklich?« Sie strahlte. »Wie war es?«
Er musste sich bemühen, seine Stimme ruhig zu halten. Aber er konzentrierte sich und klang gelassen. »Na ja, kaputt. Die zweite Hälfte fehlt.«
»Ich weiß, leider. Aber hat es dir denn gefallen?« Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn.
Er wich ihrem Blick aus. »Ja, ja, hat es. Ich will die andere Hälfte lesen.« Der Satz kam heftiger aus ihm heraus, als er beabsichtigt hatte. Er schaute nach vorn, um sich abzulenken. Dort versuchte ein dicker Junge, es Lenia gleichzutun. Seine Barriere hielt die ersten fünf Bälle ab, der Rest der Geschosse regnete auf ihn nieder.
»Aber die habe ich nicht …«, sagte Lenia. »Lass uns nachher reden, in Ordnung?«
Nein, jetzt , sagte eine Stimme in ihm.
Er nickte. »Gut.«
Lenia ging wieder an ihren Platz, und er musste sich einige weitere Vorstellungen ansehen, bei denen Schüler mit Bällen beworfen wurden. Niemand kam an Lenia heran, bis zum Ende der Stunde nicht. Als der Lehrer die Schüler entließ, wartete er, bis der schwarzhaarige Junge in einer guten Position an der Tür war, dann schleuderte er ihm seinen Ball gegen den Hinterkopf. Der Junge zuckte herum und sah sich nach dem Übeltäter um. Nairod schaute nicht zurück und machte sich auf den Weg zu Lenias Tisch. Er nahm eine Reihe vor ihr Platz und drehte sich auf dem Stuhl herum.
»Das Buch«, sagte er. Und zugleich sagte es die Stimme in seinem Innern.
Lenia steckte den Bücherstapel, der die ganze Stunde lang auf ihrem Tisch gelegen hatte, in ihren Ranzen. »Ich weiß schon. Da habe ich ja was angerichtet, du willst freiwillig lesen.« Sie lächelte und zurrte ihren Rucksack zu. »Das Buch muss dich beeindruckt haben.«
Er atmete ein und aus. »Es ist wirklich etwas anderes als die Lehrbücher. Es ist von einem Mann, der für die Magie lebt … und vielleicht für sie gestorben ist.«
»Ich habe es ja nicht ganz gelesen.« Lenia drehte sich kurz um, um ihrem Lehrer nachzuwinken, der aus der Tür verschwand. »Es … freut mich wirklich sehr, dass es dir gefallen hat.«
Er nickte. » Eikyuuno . Es bedeutet tatsächlich Ewig . Aber … hör mir zu. Ich brauche die zweite Hälfte des Buchs unbedingt. Wo könnte sie sein?« Er bemerkte, dass er ihre Hände ergriffen hatte. Sofort ließ er sie los.
Lenia sah ihn erstaunt an. »O-oh. Das weiß ich nicht. Ich weiß nicht einmal, woher genau die erste Hälfte stammt. Ich sagte schon, ich bekam sie von einer fahrenden Händlerin. Meine Bücher habe ich normalerweise aus unserer Bibliothek.«
»Die Akademiebibliothek«, sagte Nairod.
»Genau.«
»Dann gehen wir nachsehen. Es gibt dort sicher ein zweites, komplettes Exemplar des Buchs.«
Lenia schüttelte den Kopf. Sie stand auf, um einige verstreute Bälle aufzusammeln und auf das Lehrerpult zu legen. »Hast du dir das Buch einmal angeschaut?«, fragte sie.
Ja, das hatte er, sehr gründlich.
»Es ist so alt«, sagte Lenia, »dass es keinen Platz in der Bibliothek haben wird. Hier gibt es nur die neuesten Ausgaben. Unsere Zeit ist schnelllebig, und alle wichtigen Werke werden immer wieder überarbeitet. Die, die nicht überarbeitet werden, sind nicht wichtig genug und schaffen es auch nicht in die Regale der Bibliothek von Wolkenfels.«
»Dann müssen wir also in eine andere Bibliothek. Wo gibt es hier eine in der Nähe? Du weißt das doch sicher.«
Lenia setzte sich wieder an ihren Platz. »Die Magier haben ihre Akademie absichtlich so abgelegen in den Bergen errichtet. Es gibt kaum Städte in der Nähe, geschweige denn solche mit einer Bibliothek. Felsmund hat jedenfalls keine.«
»Hm. Mir fällt auch höchstens die Hauptstadt ein, aber die ist meilenweit entfernt.«
Lenia stützte den Kopf in die Hände. »Tja, vielleicht haben sie es hier in der Unteren Bibliothek, das könnte sein. Aber das hilft uns nichts.«
»Wieso nicht?« Nairod setzte sich auf. »Wenn wir hingehen und es uns besorgen, dann hilft uns das sehr wohl.«
»Das können wir aber nicht. Die Untere Bibliothek ist Schülern verschlossen. Das wüsstest du auch, wenn du
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