Magie der Schatten: Roman (German Edition)
weitete er seine Suche aus auf den ganzen E-Bereich. Er raste hindurch und betete dabei für Lenia, dass sie ihren Schild noch aufrechterhalten konnte.
Am Ende hatte er nichts und stand wieder vor dem Eik -Bereich. Es war ja ohnehin nur eine Ahnung gewesen. Vielleicht gab es das Buch hier überhaupt nicht. Ja, so war es wohl.
In einer letzten Anstrengung schob er die Bücher noch einmal auseinander.
Da segelte sie ihm entgegen. Eine Seite. Gelb verblichen, zerknickt und mit Eselsohren an allen Ecken. Nairod fing sie auf. Er erkannte sie sofort. Die Art, wie die Buchstaben geschwungen waren, wo und wie der Schreiber die Striche ansetzte. Er erkannte sie, obwohl sie doch aus seinem Bewusstsein fortgewischt worden war. Eikyuuno . Diese Buchstaben waren Teil des Mysteriums, Teil des Schlüssels.
Er drehte die Seite um. In großen, ungelenken Lettern hatte jemand eine Botschaft daraufgekritzelt. Nairod überflog sie. Und dann wusste er, wie er an Eikyuuno herankommen konnte.
***
Im Erdgeschoss verdeckte ihm eine Wand aus durchscheinenden Leibern den Blick auf Lenia. Die Elfen drängten noch immer blindlings gegen eine Barriere, die für das Auge unsichtbar blieb.
»Heh, ihr Hirnlosen!«, rief er. Er hatte einen Schemel gepackt und warf ihn zusammen mit seinem Ruf in die geisterhafte Menge. Die kleinen Wesen purzelten übereinander, und in plötzlichem Einverständnis lösten sie ihr Knäuel auf. Sie krochen zu ihm, die Blicke aus Statuengesichtern auf ihn gerichtet. Nairod bannte die ersten beiden und zerstieß sie zu nebligem Dunst. Jetzt, da sich der Turm aus Elfen aufgelöst hatte, kam hinter ihm eine zitternde Lenia in Sicht, die Hände noch immer in der magischen Geste vor sich verkrampft.
»Such das Fenster, wir treffen uns draußen«, rief Nairod ihr zu. Nur noch aus den Augenwinkeln konnte er die Ahnung eines Nickens ausmachen. Er zog die weiße Flut hinter sich her, bis er sicher sein konnte, dass Lenia entkommen war. Dann schlug er Haken und lenkte die Horde hinter sich in eine Sackgasse. Er kletterte über Regale und schließlich durch das Fenster nach draußen.
Lenia stand auf der Wiese des Akademiehofs. Regentropfen perlten über ihr Haar, sie stützte sich auf den Oberschenkeln ab und keuchte. »Hat es … sich … zumindest gelohnt?«, fragte sie.
»Ja und nein.« Hinter ihnen flossen die Elfenwächter aus dem Innern der Bibliothek heraus wie ein Wasserfall. »Zeit, nach Hause zu gehen. Aber nicht für lange.«
Kapitel 6:
DIE STEINERNE CHIMÄRE
Einen ganzen Tag und eine halbe Nacht lang waren sie geflohen, gerannt und gestolpert durchs Unterholz, eine Bande aus huschenden Schatten. Auf der Straße, abseits der Straße, durch seichte Bäche und dann wieder steile Hügel hinauf. Sie waren nicht geflohen vor einem Laut, nicht vor Pferdehufen oder Jagdrufen, sondern vor der bloßen Gewissheit, dass die Kaiserstadt ihre Köpfe im Staub rollen sehen wollte oder auf einer Lanzenspitze. Erst jetzt, in tiefer Dunkelheit, rasteten sie, und die Männer, die während der wilden Hatz nur Körper gewesen waren, bekamen endlich Gesichter.
Ein mit feuchten Zweigen genährtes Lagerfeuer knisterte und spie Funken. Wärme schenkte es nur spärlich. Der felsige Überhang, unter dem sie rasteten, verteilte den Rauch, bevor er aus dem Unterstand hinaus und gen Himmel zog. Sie waren so lange in die Nacht hineingerannt, dass jetzt kein Soldat mehr auf den Beinen sein konnte, um den verräterischen Rauch zu sehen. Ein Junge, den alle wegen seiner langen, dürren Hände nur Rattenfinger riefen, warf neue Ästchen in die Flammen. »Brennt gut, ne?«, fragte er dauernd. Um ihn herum lagen und saßen die Flüchtlinge, die meisten schon mit geschlossenen Augen. Raigar schätzte sie auf knapp dreißig Mann.
Vicold erschien neben Raigar und warf ihm ein Bündel hin. »Ich hab schon rumgefragt, keinem will es gehören. Muss wohl deins sein.«
Raigar hob den Sack ins Licht. »Wo hast du das her?«
Der hagere Mann setzte sich neben ihn. Er hatte die Gefängnislumpen eingetauscht gegen pechschwarze Lederkleidung, die zugleich als Rüstung dienen konnte. Winzige Scheiden in der gleichen Farbe wie die Kleidung verbargen sich an den Waden, Oberschenkeln, am Gürtel ohnehin, unter den Achseln und auf dem Rücken. Messermann, sagten die anderen zu ihm. Als hätte Raigar es geahnt. »Ein paar von den anderen haben sich aus dem Gefängnis geschnappt, was sie konnten, bevor sie durch den Tunnel geflohen sind.«
»Das muss Leben
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