Magie der Schatten: Roman (German Edition)
direkt weiter über die Treppe in den ersten Stock, wo sich die Herbergszimmer befanden.
»Ziemlicher Betrieb heute«, sagte Raigar, während neben ihm das Lachen und Scherzen wieder aufbrandete.
Vicold entgegnete nichts. Schweigend beendeten sie ihre Mahlzeit.
Mit einem wohligen Gefühl der Fülle im Magen erhob sich Raigar schließlich und steuerte auf den Ausgang zu. Der junge Kerl, Adler, überholte ihn und hielt ihm die Tür auf. Draußen prasselte der Regen in Strömen auf die Waldstraße. »Gleiche Idee gehabt?«, fragte der Kleine.
Raigar hüllte sich in seinen Mantel. »Willst du dich auch draußen durchweichen lassen?«
Wenn er geahnt hätte, auf was er sich einließ mit Vicold, dem Messermann ...
Die Finsternis auf der Straße war undurchdringlich, aber einige wenige Laternen am Gasthaus, die vom Wind herumgeworfen wurden, beleuchteten den Weg zum Stall.
Der Wind fauchte, aber aus dem Innern des Verschlags war deutlich das Wiehern von Pferden zu hören. Bei ihrer Ankunft am Nachmittag war der Stall noch leer gewesen.
»Ganz arm können sie nicht sein«, meinte Adler.
Am Rand des Laternenscheins zogen sich zwei Furchen durch den feuchten Boden. Radspuren. Raigars Stiefel schmatzten bei jedem Schritt, mit dem er ihnen folgte. Sie führten in die Dunkelheit und um die Steinerne Chimäre herum. An der Rückseite stand eine Kutsche. Licht fiel aus dem Schankraum und beleuchtete den Kutschbock. Die Form der Reisekabine war unnötig geschwungen und verschnörkelt. Zierbeschläge aus glänzendem Metall, das weder Eisen noch Stahl sein konnte, zogen sich an den Außenkanten entlang. Auf dem Dach thronte eine weitere Verzierung. Vier Tiere balancierten eine Krone auf ihren Schnauzen. Auch die Kabinentür wurde von einer Krone verziert. Adlers Hände glitten über ein Wappen direkt daneben. »Das ist jedenfalls nicht der Kaiser.«
Raigar trat näher heran. Jetzt erkannte er die Tiere. Schafe. »Der Schafskönig, weit aus dem Süden.«
»Das ist Gold«, sagte der Junge, der über die Beschläge der Kutsche strich. »Mann, allein diese Verzierung hier … Wer damit wohl reist? Er muss stinkreich sein.«
»So reich, dass er uns die Vorräte verschaffen könnte, die wir brauchen.« Durch ein Fenster blickte Raigar in den Schankraum. Vicold saß wieder bei seinen Männern. Einer klopfte ihm gerade auf den Rücken, und Vicold hob einen Pokal, aus dem Wein schwappte.
Adler trat wieder aus dem Licht heraus, das die Kutsche aus der Finsternis hervorhob. »Der hat aber sicher Leibwächter dabei, und Vicold hat gesagt, wir finden schon Wege, um …«
Raigar machte eine scheuchende Bewegung mit der Hand. »Geh wieder rein, bevor du dir eine Erkältung holst. Du erzählst keinem, was du hier gesehen hast, bis ich wiederkomme.«
Adler blickte an Raigars Gestalt hinauf. »I-in Ordnung.« Er huschte davon.
Raigar lehnte sich an die Rückwand des Gebäudes. Das Regenwasser rann ihm von den Haaren in seinen Kragen und den Rücken hinab.
Entweder nahmen Vicolds Söldner sich später selbst, was sie wollten, wenn sie Hunger oder andere Gelüste verspürten. Oder Raigar gab es ihnen jetzt. Ein einziges Opfer, das ihnen für einen langen Zeitraum genügen würde. Es gab keine richtige Entscheidung.
Als er dennoch endlich eine getroffen hatte und die Schenke wieder betrat, war er durchnässt bis auf die Knochen, und die Menschen starrten ihn an wie einen finsteren Geist.
Kapitel 7:
DER FLAMMENHIRTE
Der Kopf des Gardehauptmanns rollte über den Boden des steinernen Thronsaals. Er kullerte über die ausgestreuten Rosenblütenblätter, die sich wie ein Teppich vom Eingang des Saals zum Thron hinzogen. Jungen mit feuchten Tüchern eilten herbei und wischten über die Stellen, an denen Blut den Boden beschmutzte. Auch zum Kaiser, der das Schwert noch in der Hand hielt, liefen die Jungen und wischten das Blut von der Klinge, bevor es herabtropfen konnte. Wachen hüllten den Leichnam in Tücher und trugen ihn davon.
»Hast du gut zugesehen?«, fragte Weider. Seine Augen lagen tief in den Höhlen, durch den weißen Spitzbart wirkte sein Gesicht unnatürlich verlängert. Er streckte eine dürre Hand nach dem Jungen aus, der auf einer Miniaturversion des Kaiserthrons saß.
»Ich habe alles gesehen, Vater.« Der Junge, der fast ein Mann war, rührte sich nicht, als die Hand seines Vaters durch sein kurzes Blondhaar strich. Er saß aufrecht da wie eine Statue, voll von mühsam gezügelter Energie. »Jetzt kannst du mich gehen
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