Magie der Sehnsucht - Roman
Nein. Meinetwegen soll er sich Davida nennen und behaupten, er sei eine Frau in einem Männerkörper. Und wenn er sich trotzdem genauso unmöglich benimmt wie mein Exmann …«
Verstohlen schaute Grace auf ihre Uhr. Rachels Stunde näherte sich dem Ende. »Das sollten wir am Montag mit Dave besprechen«, unterbrach sie die Patientin, bevor ihr ein weiterer Monolog über die schlechten Gewohnheiten der Männer drohte.
Rachel nickte. »Erinnern Sie mich am Montag dran, dass ich Ihnen was von Chico erzählen muss.«
»Chico?«
»Der Chihuahua, der im Nachbarhaus wohnt. Also, ich schwöre Ihnen, der Hund hat ein Auge auf mich geworfen.«
Verwirrt runzelte Grace die Stirn. Meinte Rachel tatsächlich, was sie andeutete? »Ein Auge?«
»Ja«, bestätigte Rachel. »Obwohl er wie ein Hund aussieht, ist er ganz verrückt nach Sex. Jedes Mal, wenn ich vorbeigehe, guckt er unter meinen Rock. Und was er mit meinen Sneakers gemacht hat, wollen Sie gar nicht wissen …«
»Okay«, fiel Grace ihr erneut ins Wort. Anscheinend konnte sie nichts gegen Rachels manische Überzeugung unternehmen, alle männlichen Geschöpfe auf Erden würden sie leidenschaftlich begehren. »Am Montag werden wir erörtern, warum Sie das erotische Interesse des Chihuahuas erregt haben.«
»Danke, Sie sind wirklich fabelhaft.« Rachel hob ihre Handtasche vom Boden auf und ging zur Tür.
Immer noch irritiert, strich Grace über ihre Stirn. Ein Chihuahua? Großer Gott … Arme Rachel – irgendwie musste sie der bedauernswerten Frau helfen. Andererseits
war ein Chihuahua, der einem unter den Rock spähte, einem griechischen Liebessklaven vorzuziehen. »Oh Lanie«, wisperte sie, »was hast du mir angetan?« Bevor sie etwas länger darüber nachdenken konnte, surrte die Sprechanlage. »Ja, Lisa?«
»Ihr Elf-Uhr-Termin wurde abgesagt, Grace. Und während Ihrer Besprechung mit Mrs Thibideaux hat Ihre Freundin Selena Laurens sechs Dutzend Mal angerufen … Nein, ich übertreibe nicht und mache keine Witze. Sie hat mehrere dringende Nachrichten für Sie hinterlassen. Und Sie sollen sie sofort auf ihrem Handy anrufen.«
»Danke, Lisa.« Seufzend griff Grace zum Telefon und wählte Selenas Nummer.
»Oh, Gott sei Dank!«, stöhnte Selena, bevor Grace auch nur ein Wort hervorbrachte. »Komm sofort hierher und hol deinen Freund nach Hause!«
»Moment mal, er ist nicht mein Freund, sondern dein …«
»Willst du wissen, was er ist?« Selenas Stimme nahm einen hysterischen Klang an. »Ein verdammter Östrogen-Magnet. Vor meinem Kiosk drängen sich mindestens hundert Frauen. Sunshine ist ganz begeistert. Heute Vormittag hat sie mehr Keramikvasen verkauft als je zuvor. Ich habe ein paar Mal versucht, ihn heimzubringen. Aber in diesem Getümmel gibt’s kein Durchkommen. Setz deinen Hintern in Bewegung und hilf mir!«
Dann war die Leitung tot, und Grace verfluchte ihr Pech. Widerstrebend rief sie Lisa über die Sprechanlage an und bat sie, für den restlichen Tag alle Termine abzusagen.
Sobald sie den Platz erreichte, sah sie, was Selena gemeint hatte. Mindestens zwanzig Frauen drängten sich
um Julian, stießen einander beiseite, kämpften um seine Aufmerksamkeit, und alle, die vorbeigingen, starrten ihn an.
Am unglaublichsten benahmen sich die drei, die an seinem Hals hingen, während sie von einer Freundin fotografiert wurden.
»Oh, vielen Dank«, gurrte eine Mittdreißigerin, entriss der Fotografin die Kamera und presste sie an ihren Busen, offenbar in der Absicht, Julians Blick dorthin zu lenken. Aber er war nicht interessiert. »Ist das nicht wundervoll?«, jubelte sie. »Ich kann es kaum erwarten, das Foto den Mitgliedern meiner literarischen Gruppe zu zeigen. Wer hätte gedacht, dass ich im French Quarter ein Model für Romantitelbilder finden würde?«
Wie Julians stocksteife Haltung verriet, missfielen ihm die Annäherungsversuche. Wenigstens war er nicht unhöflich und bemühte sich sogar um ein Lächeln, das aber seine Augen nicht erreichte. Kein Vergleich zu jenem Lächeln, das er Grace am letzten Abend geschenkt hatte …
»War mir ein Vergnügen«, murmelte er, worauf ein ohrenbetäubendes Kichern erklang. Fassungslos schüttelte Grace den Kopf. Seid doch nicht so albern, Mädchen … Aber um ehrlich zu sein – bei seinem Anblick setzte auch ihr Gehirn immer wieder aus. Durfte sie den Frauen verübeln, dass sie sich wie vorpubertäre Teenies bei einem Rockkonzert aufführten?
Plötzlich schaute er über seine Bewunderinnen hinweg,
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