Magie der Sehnsucht - Roman
all den Leuten helfen?«
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich hängt es mit meiner Kindheit zusammen. Obwohl meine Eltern mich liebten, fühlte ich mich sehr unsicher und kam mit den anderen Kindern nicht zurecht. Mein Vater war ein Geschichtsprofessor, meine Mutter eine Hausfrau …«
»Hat sie ein Haus geheiratet?«
»Nein«, antwortete sie belustigt, »sie blieb daheim und kümmerte sich um den Haushalt. Niemals wurde ich wie ein Kind behandelt. Wenn ich mit Kindern zusammen war, wusste ich nicht, wie ich mich verhalten und was ich
sagen sollte. Vor lauter Angst zitterte ich am ganzen Körper. Schließlich schickte mich mein Vater zu einem Therapeuten, und danach wurde es besser.«
»Abgesehen von deinen Kontakten mit Männern.«
»Das ist eine andere Geschichte. Als Teenager war ich furchtbar unbeholfen, und ich interessierte die Jungs in meiner Schule nur, wenn sie mich verspotten konnten.«
»Warum haben sie dich verspottet?«
Grace zuckte gleichmütig die Achseln. Wenigstens diese Erinnerungen bedrückten sie nicht mehr. »Weil ich keine Titten hatte. Außerdem stehen meine Ohren ab, und mein Gesicht ist mit Sommersprossen übersät.«
»Titten?«
»Brüste.«
Beinahe glaubte sie seinen heißen Blick zu spüren, der ihren Busen fixierte, schaute kurz zu ihm hinüber und fand ihre Vermutung bestätigt. Er starrte sie so intensiv an, als hätte sie ihre Bluse ausgezogen.
»Unsinn, du hast sehr hübsche Brüste«, beteuerte er.
»Danke«, murmelte sie verlegen. Das eher unberechtigte Kompliment erwärmte ihr Herz. »Und du?«
»Ich habe keine Brüste.«
Das sagte er so ernsthaft, dass sie in Gelächter ausbrach. »Nein, ich meine – wie sind deine Teenager-Jahre verlaufen?«
»Ich kämpfte, aß, trank, hatte Sex und badete. Meistens in dieser Reihenfolge.«
»Was gewisse Intimitäten betrifft – darüber müssen wir noch diskutieren …« Dann besann sie sich auf ihre Rolle als Therapeutin und schnitt ein Thema an, das er hoffentlich bereitwilliger erörtern würde. »Erzähl mir, wie dir bei deiner ersten Schlacht zumute war.«
»Da empfand ich gar nichts.«
»Hattest du keine Angst?«
»Wovor?«
»Nun, vor der Gefahr, zu sterben oder verstümmelt zu werden.«
»Daran dachte ich keine Sekunde lang.«
»Seltsam …«
»Wenn man keinen Sinn im Leben sieht, fürchtet man den Tod nicht.«
Erschüttert verstummte sie. Während sie den Wagen in die Zufahrt ihres Hauses steuerte, beschloss sie, dieses beklemmende Gespräch vorerst nicht fortzusetzen. Sie stieg aus, öffnete den Kofferraum, und Julian ergriff die Einkaufstüten. Dann folgte er ihr in die Diele und die Treppe hinauf.
Im Schlafzimmer angekommen, nahm sie bequeme Jeans aus der Kommode und machte in einem anderen Schubfach Platz für Julians neue Sachen. »So«, sagte sie und warf die leeren Tüten in den Papierkorb neben dem Schrank. »Was möchtest du an diesem Freitagabend unternehmen? Bleiben wir daheim, oder fahren wir noch einmal in die City?«
Sein hungriger Blick glitt über ihren Körper und erhitzte ihr Blut. »Sicher kennst du die Antwort.«
»Okay, eine Stimme für Sex, eine dagegen. Höre ich noch andere Vorschläge?«
»Wie wär’s mit einem netten, ruhigen Abend daheim?«
»Also gut.« Grace ging zum Telefon, das auf dem Nachttisch stand. »Lass mich die Anrufe abhören, danach kümmern wir uns ums Dinner.«
Sie schaltete den Anrufbeantworter ein, und Julian begann seine Kleider in der Schublade zu verstauen. Dabei hörte er Grace telefonieren. Als ihre Stimme einen nervösen Klang annahm, wandte er sich zu ihr.
»Hat er gesagt, was er braucht?«, fragte sie.
Julian beobachtete, wie sie den Hörer fester umklammerte.
»Warum haben Sie ihm meine Nummer gegeben?«, stieß sie ärgerlich hervor. »Keiner meiner Patienten bekommt meine Privatnummer … Kann ich Ihren Vorgesetzten sprechen?«
Besorgt trat Julian an ihre Seite. »Stimmt was nicht?«
Sie bedeutete ihm zu schweigen und lauschte der Person am anderen Ende der Leitung. »Also gut«, sagte sie nach einer langen Pause. »Dann muss ich meine Nummer eben wieder ändern lassen. Danke.« Mit gerunzelter Stirn sah sie vor sich hin und legte auf.
»Was ist passiert?«, fragte Julian.
»Der Fernsprechauftragsdienst hat eine neue Mitarbeiterin eingestellt. Leider unterlief ihr ein Fehler. Sie gab einem Patienten meine Privatnummer, und er rief heute an.« In ihrem Ärger sprach sie so schnell, dass er ihr kaum folgen konnte. »Eigentlich gehört er nicht zu
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