Magie der Sehnsucht - Roman
quälen, ohne seine kleinen Lieblinge zu verletzen?
Und wieso hatte Aphrodite das alles zugelassen? Mochte sie ihn auch missachten – wie konnte sie den Tod unschuldiger Kinder gestatten?
An jenem Tag war er in ihren Tempel gegangen, fest entschlossen, Priapos zu töten, zu enthaupten und den Kopf auf einen Pfahl zu stecken.
»Was ist geschehen?«, fragte Grace und holte ihn in die Gegenwart zurück.
»Als ich das Zimmer betrat, war es zu spät«, würgte er gequält hervor, seine Kehle war wie zugeschnürt. »Unsere Kinder waren tot. Von der eigenen Mutter ermordet. Und neben den kleinen armen Geschöpfen lag Penelope im Sterben. Sie hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten. Erfolglos versuchte ich die Blutung zu stoppen und rief einen Arzt. Vor ihrem letzten Atemzug spuckte sie mir ins Gesicht.«
Gepeinigt schloss Grace die Augen. Das alles war noch
viel schlimmer, als sie es vermutet hatte. Großer Gott, wie hatte er diese Schicksalsschläge überlebt?
Im Lauf der Jahre hatte sie viele schreckliche Geschichten gehört. Aber damit ließ sich nichts vergleichen. Und Julian hatte alles allein erlitten, ohne den Trost und die Hilfe eines Menschen, der ihn liebte.
»Tut mir so leid …«, flüsterte sie und berührte seine Wange.
»Dass ich die Kinder verloren habe, kann ich noch immer kaum glauben«, gestand er. »Du hast mich gefragt, was ich während meiner Gefangenschaft in dem Buch mache. Nun, ich stehe einfach da und stelle mir die Gesichter meines Sohnes und meiner Tochter vor. Ich erinnere mich, wie sie ihre winzigen Ärmchen um meinen Hals schlangen, wie sie mir entgegenrannten, wenn ich nach meinen Feldzügen nach Hause kam. Ich erlebe jeden einzelnen Augenblick jenes grausigen Tages noch einmal und wünsche, ich hätte die Kinder retten können.«
Grace kämpfte mit den Tränen. Kein Wunder, dass er nie von alldem gesprochen hatte …
Nach einem tiefen Atemzug fuhr Julian fort: »Die Götter gönnen mir nicht einmal den Wahnsinn, der mich von den grausigen Erinnerungen befreien würde. Sogar diese Gnade wird mir verwehrt.«
Dann verstummte er. Reglos lag er in ihren Armen, und sie hielt ihn einfach nur fest. Was sie sonst tun sollte, wusste sie nicht. Zum ersten Mal seit Jahren versagten ihre therapeutischen Kenntnisse.
Helles Sonnenlicht strömte durch das Fenster ins Schlafzimmer und weckte Grace. Erst nach einer vollen Minute
erinnerte sie sich an die letzte Nacht. Sie setzte sich auf, tastete nach Julian, berührte aber nur die leere Matratze.
»Julian?«, fragte sie.
Keine Antwort.
Sie schlug die Decke zurück, stand auf und zog sich hastig an.
»Julian?«, rief sie auf dem Weg nach unten.
Nichts. Kein einziger Laut. Nur das Rauschen des Blutes in ihren Ohren. Eisige Angst beschleunigte ihren Puls. War ihm etwas zugestoßen? Sie rannte ins Wohnzimmer, wo das alte Buch auf dem Couchtisch lag. Als sie darin blätterte, entdeckte sie die leere Seite, die Julians Bild gezeigt hatte. Erleichtert seufzte sie.
Also war er nicht in das Buch zurückgekehrt. Wenigstens ein kleiner Lichtblick … Nun begann sie systematisch das ganze Haus zu durchsuchen.
Wo mochte er stecken?
In der Küche sah sie die angelehnte Hintertür.
Mit gerunzelter Stirn trat sie auf die Veranda hinaus und schaute in den Garten.
Auf dem Rasen saß Julian mit den Nachbarskindern, die gegenüber wohnten, und zeigte ihnen ein Spiel mit Steinen und Zweigen. Fasziniert hörten ihm die beiden Jungen und das ältere Mädchen zu, während die zweijährige Schwester umhertappte.
Beim Anblick dieser idyllischen Szene lächelte Grace gerührt, und sie fragte sich, ob Julian an seine eigenen Kinder dachte. Nach kurzem Zögern stieg sie die Stufen hinab und ging zu ihnen.
Bobby, der Älteste, war neun, sein Bruder Tommy ein Jahr jünger und Katie erst sechs. Vor fast zehn Jahren hatten die Eltern das Haus gekauft, als frisch verheiratetes junges Paar. Wenn sie Grace trafen, grüßten sie freundlich,
wechselten ein paar Worte mit ihr, waren aber nur flüchtige Bekannte.
»Und was ist dann passiert?«, fragte Bobby.
»Also, das Heer saß fest.« Julian rückte einen Stein über einen Zweig. »Von einem seiner eigenen Soldaten verraten. Dieser junge Hoplit – so nannte man einen besonders schwer bewaffneten Krieger – hatte seine Kameraden hintergangen, weil er ein römischer Zenturio werden wollte.«
»Klar, die römischen Soldaten waren die besten Kämpfer«, warf Bobby ein.
»Keineswegs«, protestierte Julian
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