Magie des Windes - Feehan, C: Magie des Windes - Safe Harbor (5 - Hannah)
Er rannte eindeutig hinter ihr her. Sergej Nikitin und Hannahs Agent folgten dem kräftigeren Mann.
»O Gott, vor dir, Hannah«, rief Jonas und raste plötzlich auf den Fernseher zu. » Vor dir, verdammt noch mal, sieh nach vorn. O Gott, nein! Hannah!«
Er zog automatisch seine Waffe, aber es gab nichts, was er tun konnte, als Hannah ihren Kopf umwandte und das Messer ihr Gesicht aufschlitzte. Er musste hilflos zusehen, wie der Mann mit dem Messer ausholte und mit welcher Entschlossenheit er erbarmungslos zustach. In ihr Gesicht. Ihre Brust. Ihren Unterleib. Sie hob die Arme, eine jämmerliche Verteidigung gegen einen Irren. Er stach immer wieder zu und jedes Mal, wenn er ausholte, stand seine gesamte Körperkraft dahinter.
Jonas hörte einen heiseren, rauen Aufschrei maßloser, grenzenloser Qual und wusste, dass dieser Schrei seiner Seele entrissen worden war. Er sank auf die Knie, weil er sich nicht mehr auf den Füßen halten konnte und es nicht in seiner Macht stand, den Angreifer aufzuhalten. Hinter ihm schrie Sarah gellend.
Blut spritzte über die elegant gekleidete Menge und der Arm holte immer noch aus und stach zu. Er hörte, dass Sarah sich übergab, aber er konnte den Blick nicht abwenden.
Ilja Prakenskij packte den Angreifer von hinten, zerrte ihn von Hannah fort, riss die Kontrolle über die Hand mit dem Messer an sich und holte kraftvoll aus, so dass die blutige Klinge im hohen Bogen tief in das Herz des Mannes getrieben wurde. Ilja ließ ihn fallen und drehte sich um, weil er versuchen wollte, Hannah aufzufangen, bevor sie auf den Boden schlug. Die Kamera machte einen Schwenk nach unten, aber Iljas Körper nahm die gesamte Aufnahme ein und ließ nur Raum für einen Blutstrom, der lange Korkenzieherlocken tränkte, während der Reporter versuchte, seine Fassung wiederzufinden.
Jonas sank ganz zu Boden. Sein Verstand war gelähmt und der Schock setzte ein. Er warf einen Blick auf Sarah. Sie lag genauso still auf dem Fußboden, wie Hannah dagelegen hatte, und sie war blass, ihr Atem ging flach und die Augen waren nach oben weggerollt. In dem Moment fühlte er es – das überwältigende Gewicht des Wissens, als allen Drake-Schwestern die Ungeheuerlichkeit des Angriffs bewusst wurde. Er hörte gequälte Aufschreie, in denen sich ein unsäglich tiefer Kummer ausdrückte, der sich an seinem messen konnte.
Er berührte sein Gesicht und wusste, dass seine Tränen hemmungslos flossen. Er fürchtete, er würde nie mehr aufhören können zu weinen. Die Tür wurde aufgerissen und im Türrahmen stand Jackson mit grimmigem Gesicht und verkniffenem Mund. »Komm mit.«
7.
J onas hatte noch nie in seinem Leben so viel gebetet. Er sah blicklos aus dem Flugzeugfenster und fühlte sich abwechselnd betäubt und verloren und dann von einer Wut gepackt, die so glühend war, dass er selbst davor erschrak. Er hatte Angst davor, etwas zu sagen – er fürchtete, die Wut würde aus ihm herausbrechen und alle um ihn herum verschlingen.
Er presste seine Fingerspitzen fest auf die Druckpunkte um seine Augen herum und erhoffte sich davon eine Linderung des pochenden Schmerzes. Joley hatte ein Privatflugzeug für sie organisiert, das sie bei ihrer Ankunft am Flughafen bereits erwartete, und er wusste, dass die Drakes aus aller Welt angeflogen kommen würden. Aber wie konnten sie rechtzeitig dort eintreffen, um ihr das Leben zu retten?
Hannah. Er hauchte ihren Namen. Verlass mich nicht.
Zwischen ihnen hatte schon immer eine besondere Verbindung bestanden. Als sie das erste Mal das Schulgelände betreten hatte – mager, blass und mit diesem langen blonden Haar, überall federnde Löckchen –, hatte er gewusst, dass sie für ihn geschaffen war. Er war ein paar Jahre älter und hatte sich dafür geschämt, dass er ein so kleines Mädchen anstarrte, obgleich er mit seinen zehn Jahren keine sexuellen Absichten hatte. Schon bald nachdem er begonnen hatte, ständig zu den Drakes zu laufen, hatte er gewusst, dass sie die Richtige für ihn war, aber als er sie dort auf dem Schulhof gesehen hatte, war dieses Wissen für ihn zur Gewissheit geworden. Es war so unumstößlich,
dass es ihn schockiert hatte. Von jenem Augenblick an war sie ein Teil von ihm gewesen, so selbstverständlich wie das Atmen.
Natürlich hatte sie ihn nie eines Blickes gewürdigt. Himmel noch mal. Sie hatte nicht einmal mit ihm geredet, zumindest nicht in der Schule. Das hatte er ihr tierisch übel genommen. Jahre später, als er von ihren Angstanfällen und
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