Magie des Windes - Feehan, C: Magie des Windes - Safe Harbor (5 - Hannah)
Gesicht war von Tränen verwüstet. Sie sah so jung aus, eine Frau, die ebenso viel Macht besaß wie all ihre Schwestern zusammen, wenn nicht sogar noch mehr, da sie diejenige war, der es bestimmt war, die Gaben an ihre Töchter weiterzureichen. Jonas hatte sie immer als das kleine Schwesterchen angesehen. Mit ihren leuchtend grünen Augen war sie eine Schönheit und sie brauste noch schneller auf als Hannah. Die meiste Zeit war sie jedoch ein stiller Mensch, der für sich blieb, wenn sie auch, ebenso wie ihre Schwestern, Beschützerinstinkte besaß und die Reihen schloss – manchmal auch gegen ihn.
Er hatte keine Ahnung, womit sich Elle ihren Lebensunterhalt verdiente. Wie ihre Schwestern war auch sie überragend intelligent und hatte eine gute Ausbildung genossen. Elle war auf jedem Gebiet gut, von der Kriminalistik bis hin zur Chemie. Sie hätte mühelos als Zwölfjährige oder als schmollende Sirene durchgehen können, je nachdem, wie sie sich kleidete und schminkte. Jonas machte sich größere Sorgen um sie als um jede andere Drake-Schwester. Sie wirkte so verloren und allein und vielleicht war sie das auch. Elle ließ niemanden nah an sich heran. Man konnte sie lieben, aber sie hielt einen trotzdem auf Distanz.
Er wusste, dass sein bester Freund Jackson einen Draht zu ihr hatte. Was sich zwischen den beiden abspielte, wusste er nicht, denn Jackson sprach nie darüber. Manchmal hätte Jonas
Elle gern davor gewarnt, Jackson allzu sehr zu provozieren. Aber Jonas hielt den Mund, weil Elle niemanden zu Vertraulichkeiten ermutigte. Jonas wusste nur, dass das, was die beiden verband, heftig war und dass es sie zwangsläufig eines Tages einholen und dann mit aller Macht ausbrechen würde.
Elle berührte Ilja Prakenskijs Schulter, um ihm stumm zu danken. Dann sah sie sich rasch im Raum um, bis ihr Blick auf Hannah hinter der Glasscheibe fiel. Einen Moment lang war der Kummer eine grässliche Maske und sie hob ihre Hand zu den Tränen, die ihr übers Gesicht rannen. Ihr Blick fiel auf Jonas, und während sie einander in die Augen sahen, hielten der Kummer und die Furcht beide gefangen. Dann warf sie ihm einen Kuss zu und brach damit den Bann. Sie ließ sich anmutig vor Sarah auf den Boden gleiten und senkte den Kopf. Jetzt war es unmöglich, ihr Gesicht zu sehen.
Jonas fühlte sich von Erleichterung durchflutet. Er wusste, dass die Tanten dieselben Gaben besaßen wie die Drake-Schwestern, aber er kannte sie weniger gut. Den Schwestern vertraute er blind – sie liebten Hannah mit jeder Faser ihres Wesens.
Als Nächstes kam Kate, eine liebenswürdige Frau, die lachte und liebte und Krimis schrieb, die ausnahmslos die Bestsellerlisten stürmten. Sie war die Stillste der Drakes und stand am liebsten als Beobachterin am Rande des Spielfeldes. Gleich nach ihren Schwestern waren Bücher ihre besten Freunde. Er erinnerte sich noch daran, dass sie als Kind ständig Buchläden und Büchereien aufgesucht und immer ein Buch in der Hand gehalten und eines in ihrem Rucksack mit sich herumgetragen hatte. Oft unterhielt sie die Familie mit Geschichten. Früher hatte sie in den Ferien oft Stücke geschrieben, die ihre Schwestern – und Jonas – dann aufführten.
Kate war eine passionierte Reiterin und sah trotzdem immer aus wie aus dem Ei gepellt. Kein Haar löste sich aus ihrer Frisur und sie war so perfekt geschminkt, dass er nicht immer
sicher war, ob sie überhaupt Make-up aufgetragen hatte. Matt Granite, ihr Verlobter, war früher bei den Rangers gewesen, gemeinsam mit Jonas und Jackson. Zwischen ihnen hatte sich eine enge Beziehung entwickelt und ihre Freundschaft reichte weit zurück. Jonas war es immer ein großes Anliegen gewesen, Kate zu beschützen, und daher hatte er sich ganz außerordentlich darüber gefreut, dass ihre Wahl auf Matt gefallen war. Kate gab Elle einen Kuss, umarmte Sarah und weinte mit ihren Eltern, bevor sie sich mit Matt an die Glasscheibe stellte. Kate winkte ihm durch die Scheibe zu und sah Hannah mit traurigen roten Augen und Falten der Anspannung um den Mund herum an.
Jonas lief ein Schauer über den Rücken. Hatten sie alle das Gefühl, Hannah sei dem Tod so nah, dass keine Hoffnung mehr bestand? Der Gedanke an einen Misserfolg schlich sich ungebeten in seinen Verstand ein und ließ sich nicht vertreiben. Die Drakes versammelten sich, aber sie wirkten nicht zuversichtlich, sondern angespannt und bedrückt.
»Hör mir zu, Baby«, flüsterte er mit den Lippen an dem Verband über Hannahs Ohr.
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