Magie und Schicksal - 2
natürlich. Darum hast du mich doch gebeten.« Er zieht ein gefaltetes Stück Papier aus der Westentasche und legt es in meine ausgestreckte Hand.
Ich falte den Zettel auseinander und überfliege die Liste mit Ortsnamen, von denen wir bereits viele ausgestrichen haben. Neun sind noch übrig.
»Auf der letzten Seite wird das Versteck des Steins in einer anderen Sprache beschrieben.« Meine Stimme ist nur ein Murmeln, kaum hörbar bei dem Klappern der Räder auf der steinigen Straße. Ich hoffe nur, dass Edmund die Kutsche bei diesem Tempo und diesem unebenen Untergrund nicht in den nächsten Graben lenkt. »Unsere Suche, die sich bislang einzig auf diesen Hinweis stützte – einen Hinweis, den wir nicht einmal verstehen – ist so wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen.«
»Das ist ziemlich offensichtlich, meine Liebe, und wohl auch der Grund, warum wir bislang erfolglos blieben.« Dimitri hat Mühe, seine Ungeduld im Zaum zu halten.
»Ja, aber genau deshalb behaupte ich, dass wir die Sache von der falschen Seite aus angepackt haben.« Ich schaue Dimitri an. »Wir hätten das einsetzen sollen, was wir bereits haben.«
»Und was ist das?«
Ich wedele mit dem Zettel vor seiner Nase herum. »Das hier. Es sind nur noch neun mögliche Verstecke übrig.«
Er runzelt die Augenbrauen. »Ja. Na und?«
»Wenn wir diese Liste Victor geben, kann er vielleicht Nachforschungen über die neun Orte anstellen und nach einem Hinweis suchen, ob irgendeiner davon mit dem Begriff Sliabh na Cailli’ in Verbindung gebracht wird.« Ich verstumme, weil ich plötzlich den Eindruck habe, dass meine Idee vielleicht doch nicht so gut ist, wie sie mir vor zwei Stunden in der Einsamkeit meines Zimmers erschien. »Natürlich haben wir keine Garantie, aber es ist doch besser als nichts, oder?«
Dimitri schweigt ein paar Sekunden lang. Dann beugt er sich vor und küsst mich. »Es ist viel mehr als das. Und es ist so einfach, dass es schon brillant ist.«
Ich will mich von seiner Begeisterung anstecken lassen, will die Hoffnung, die ich beim Aufwachen empfand, als mir die Idee kam, Victor die Liste zu geben, zu neuem Leben erwecken. Aber plötzlich bin ich mir nicht mehr so sicher. Es scheint nur ein seidener Faden zu sein, an den wir unsere Hoffnung auf Antworten hängen, und bei all den Rätseln, die es noch zu lösen gilt, ist nur eins sicher: Beltane ist schon in zwei Monaten.
Uns läuft die Zeit davon.
»Lieber Himmel! Das sind zu viele! Das schaffen wir nie!«
Ich lehne mich in dem dick gepolsterten Sessel zurück, was zwar nicht besonders damenhaft ist, aber im Augenblick kümmert mich das nicht.
Nachdem es uns gelungen war, Victor zur Tür zu locken –
was geschlagene zwanzig Minuten dauerte –, hörte er sich unseren Vorschlag bei Tee und Toast an und zog, als wir ihm die Liste zeigten, sofort etliche Bücher aus den Regalen.
»Ach was!«, erwidert Victor. »Sie mögen ja für sich selbst sprechen, junge Dame. Ich dagegen werde, nachdem ich nun weiß, in welcher Richtung ich suchen muss, nicht ruhen noch rasten, bis ich alles über die Orte auf Ihrer Liste weiß und die Antwort gefunden habe, die sie suchen.«
Ich betrachte den riesigen Haufen Bücher, der vor uns auf dem Tisch aufgestapelt ist. »Aber das wird den ganzen Tag dauern!« Plötzlich fällt mir etwas ein und ich richte mich kerzengerade auf. »Edmund? Wie spät ist es?«
Er schaut zur Kaminuhr. »Fast neun. Warum?«
Wie der Blitz springe ich aus dem Sessel und schlage mir die Hand vor die Stirn. Erst jetzt wird mir klar, was ich getan habe. »Helene. Helene kommt heute Morgen an und ist vermutlich gerade jetzt in Milthorpe Manor eingetroffen. « Was mögen Sonia und Luisa nur von meinem unmöglichen Verhalten denken?
»Wer immer diese Helene ist, sie scheint von Bedeutung zu sein«, sagt Victor und steht ebenfalls auf. »Keine Sorge. Ich suche weiter und werde Ihnen in dem Augenblick, in dem ich fündig werde, eine Nachricht zukommen lassen.«
Wieder schaue ich zu dem Bücherstapel. »Sind Sie sicher? Es kommt mir nicht fair vor, Sie mit diesem Berg Arbeit allein zu lassen.«
Er lacht auf und klatscht in die Hände. »Mein liebes
Mädchen, ich habe doch sowieso nichts Besseres zu tun. Ich versichere Ihnen, dass Sie mir einen großen Gefallen tun!«
Ich lächle und beuge mich vor, küsse ihn auf die trockene Wange. »Oh danke, Victor. Sie sind ein wahrer Schatz!«
Er errötet, und ich frage mich, wie lange es her ist, dass ihn jemand berührt hat.
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