Magie und Schicksal - 2
an ihm vorbei zum Wasser, während in mir ein merkwürdiges Gefühl aufsteigt. Es ist ganz anders, als ich es erwartet habe. Es ist keine Trauer um den Verlust unserer Liebe oder Angst um James’ Sicherheit.
Es ist Zorn über das Bedauern, das mich all die Monate, seit ich James verlassen habe, aufgefressen hat. Zorn über
die Stunden, in denen ich meine Unfähigkeit verfluchte, ihm die Wahrheit zu sagen.
Ich drehe mich um und schüttele seinen Mantel von meinen Schultern. »Es tut mir leid, James. Es war ein Fehler zu kommen.« Ich reiche ihm den Mantel und meine Stimme klingt erstickt. »Aber es war schön, dich wiederzusehen. Ich wünsche dir alles Gute.«
Ich wende mich ab und eile den Kiesweg entlang. Seine Stimme folgt mir auf Schritt und Tritt.
»Lia! Lia!«
Ich will die Stimme ignorieren, will weggehen, ohne mich umzublicken. Aber er holt mich in Windeseile ein. Er greift nach meinem Arm, sodass ich stehen bleiben muss.
»Ich verstehe dich nicht. Ich liebe dich. Früher war das alles, was eine Bedeutung hatte. Wenn es nötig ist, dir zu glauben, damit ich wieder mit dir zusammen sein kann, dann werde ich glauben.«
Sein Gesicht ist aufrichtig, und ich frage mich, ob er ernsthaft vorhat, eine neuerliche Beziehung zwischen uns auf eine Falschheit zu gründen. Ich denke an Dimitri und seine Bereitschaft, meine dunkelsten und gefährlichsten Seiten zu akzeptieren.
»Es wäre eine Lüge«, sage ich.
Er beißt die Kiefer zusammen und schaut zur Seite. Er denkt nach. Dann wendet er sich wieder mir zu. »Das ist mir egal.«
Seine Worte geben mir meine Freiheit zurück, und plötzlich ist es gar nicht mehr schwer, loszulassen.
»Aber da gibt es ein Problem, James.« Ich lege meine Hand auf seine kalte Wange. »Mir nicht.«
Ich drehe mich um und gehe davon. Und diesmal folgt er mir nicht.
Als ich nach Milthorpe Manor zurückkehre, wartet ein Brief auf mich. Beim Anblick des Absenders reiße ich den Umschlag hastig auf, ohne überhaupt meinen Umhang abgenommen zu haben. Mein Herz schlägt wild, während ich die Worte auf dem dicken Papier lese, und nur Sekunden später bin ich schon wieder zur Tür hinaus und rufe nach Edmund.
Auf dem Weg durch die Straßen von London starre ich aus dem Kutschenfenster. Ich wage tatsächlich zu hoffen, dass wir uns schließlich doch dem Ende der Prophezeiung nähern. Noch bevor Edmund die Kutsche vor dem Gebäude der Gesellschaft zum Halten gebracht hat, habe ich schon den Wagenschlag geöffnet.
»Ich bin sofort wieder da!«, rufe ich ihm zu, während ich zur Haustüre eile und die Klingel betätige.
Der Butler lächelt, als er mich im Türrahmen stehen sieht. »Guten Morgen, Miss. Er ist in der Bibliothek.«
»Danke.« Ich erwidere sein Lächeln und schiebe mich an ihm vorbei.
Dimitri schaut auf, als ich die Bibliothek betrete. »Lia! Was ist los? Ist etwas geschehen?«
Er sitzt an einem Tisch neben dem Fenster, der vor Büchern überquillt. Ich eile auf ihn zu.
»Nun ja, wie man es nimmt.« Ich wedele mit dem Blatt Papier. »Möglicherweise haben wir endlich gute Neuigkeiten! «
Er nimmt mir den Brief aus der Hand und überfliegt ihn. Dann schaut er zu mir auf. »Aber das bedeutet…«
Ich nicke lächelnd. »Dass wir nach Irland fahren!«
Er erwidert mein Lächeln. Und plötzlich scheint mir nichts mehr unmöglich.
11
I ch habe niemandem etwas gesagt, und daher bin ich auf ihre Reaktion vorbereitet. Trotzdem bekomme ich heiße Wangen, als ich die Stufen hinabsteige und auf die wartenden Pferde zugehe.
Tante Virginia steht der Schock ins Gesicht geschrieben. Erst als ich direkt vor ihr stehe, findet sie ihre Sprache wieder. »Du trägst Hosen!«
Den Männerhut, unter dem mein Haar versteckt ist, oder die Tatsache, dass ich mir alle Mühe gegeben habe, überhaupt zu verbergen, dass ich eine Frau bin, erwähnt sie nicht. Augenscheinlich verblassen diese Details im Vergleich mit den Beinkleidern, die ich trage.
Ich schaue an mir herab und lächle sie dann an. »Es ist ungewohnt, mich solcherart gekleidet zu sehen, das weiß ich. Aber ich trage beim Reiten immer Hosen, und es ist einfach unmöglich, sich mit einem langen Rock schnell zu bewegen, sollte es nötig sein.« Ich gehe nicht näher darauf ein, warum ich mich beeilen muss. Ich sage ihr nicht,
dass der Schlangenstein mit jedem Tag, der vergeht, kälter wird, und dass unser aller Leben davon abhängt, ob ich den Stein finde und das Tor schließen kann. Sie weiß all das nur zu gut.
Sie zögert.
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