Magie
ziehen«, sagte Vora. »Es sitzt schon vollkommen schief.«
»Ich kann nichts sehen.«
»Es wird einfacher sein, wenn Ihr nach draußen kommt.«
»Wird die Zeremonie draußen stattfinden?«
»Nein.«
»Wie soll ich es vermeiden, zu stolpern oder gegen Wände zu rennen?«
»Geht langsam. Ich werde an Eurem Gewand zupfen, um Euch zu führen. An der linken, wenn Ihr in diese Richtung gehen müsst, und umgekehrt.«
»Und wenn ich stehen bleiben muss?«
»In der Mitte.«
»Und wenn ich mich wieder in Bewegung setzen muss?«
»Dann stoße ich Euch an.«
»Wunderbar.«
»Im Augenblick müsst Ihr mir folgen. Seid Ihr so weit?«
Stara lachte verbittert auf. »Nein. Aber lass dich davon nicht aufhalten.«
Sie konnte nicht erkennen, ob Vora lächelte oder die Lippen aufeinanderpresste, wie sie es immer tat, wenn sie besorgt oder verärgert war. Die alte Frau drehte sich um und ging auf die Tür zu. Stara folgte ihr. Ihr Herz schlug plötzlich zu schnell, und ihr Magen schlingerte auf eine Weise, die in ihr den Wunsch weckte, sie hätte den Saft nicht getrunken.
Gerade als sie sich ein wenig daran gewöhnt hatte, durch die Gaze zu blicken, führte Vora sie in einen dunklen Raum.
»Stara.« Es war die Stimme ihres Vaters. Sie drehte sich zu einem Schatten um, den sie erst bemerkt hatte, nachdem er gesprochen hatte.
»Vater.«
»Ich habe einen Ehemann für dich gefunden. Einen, der bereit ist, eine Frau mit magischen Fähigkeiten zu heiraten. Du kannst dich sehr glücklich schätzen.«
Schweigen folgte. Sie fragte sich, ob er erwartet hatte, dass sie ihm recht geben oder ihm danken würde. Einen flüchtigen Augenblick lang erwog sie es, etwas in der Art zu sagen, dann entschied sie sich dagegen. Er würde wissen, dass sie log, welchen Sinn hätte es also gehabt?
»Sei eine gehorsame Ehefrau und mach mir keine Schande«, sagte er schließlich. Dann spürte sie einen Luftzug auf der rechten Hand. Gleichzeitig zupfte jemand an ihrem Gewand und drückte ihr sachte mit dem Finger in den Rücken. Plötzlich hatte sie Mühe, ein Lachen zu unterdrücken. Ich werde geführt wie eine dieser Marionetten, die im vergangenen Jahr auf den Märkten von Capia so beliebt waren. Was Vater wohl denken würde, wenn ich anfinge, meine Arme und Beine so ruckartig zu bewegen, als würden sie von Schnüren gehalten.
Dann wurde sie wieder ernst. Er würde die Komik darin nicht erkennen. Wahrscheinlich hatte er noch nie zuvor Marionetten gesehen. Er und ich stammen aus verschiedenen Welten. Unglücklicherweise bin ich diejenige, die in seiner Welt festsitzt, nicht umgekehrt.
Geführt von Vora, folgte sie ihrem Vater durch das Haus und dann hinaus in den Innenhof. Ein Wagen stand bereit. Sie konnte nicht erkennen, ob er schlicht oder elegant war. Ihr Vater stieg ein. Sie tat es ihm nach und setzte sich ihm gegenüber hin, wobei sie ihren Platz im Wesentlichen durch vorsichtiges Tasten fand. Wo Vora blieb, konnte sie nicht sehen. Einen Moment lang stieg Panik in ihr auf, dass Vora sie vielleicht nicht zu der Zeremonie begleiten würde. Nachdem sie einige Male tief durchgeatmet hatte, sagte sie sich, dass sie auch ohne die alte Sklavin zurechtkommen würde. Solange ich nur langsam gehe.
Der Wagen setzte sich ruckartig in Bewegung. Sie hörte das Klirren und Quietschen der Tore, die sich öffneten. Der Wagen wendete. Als sie die Straße hinunterrollten, nahm sie das
Geräusch eines anderen Wagens wahr, der an ihnen vorbeifuhr. Ihr Vater sagte nichts, aber sie konnte ihn atmen hören. Atmete er schneller als normal? Sie hatte keine Ahnung, was für ihn normal war. Was dachte er? Bedauerte er irgendetwas? Oder war er glücklich, sie loszuwerden?
Mit einem Mal verlangsamte der Wagen das Tempo. Stimmen wurden laut. Sie wendeten abermals. Der Wagen beschleunigte, dann wurde er wieder langsamer. Als er stehen blieb, stand ihr Vater auf und ging zur Tür.
Stara blieb sitzen und fragte sich, weshalb sie anhielten und wie lange sie würde warten müssen, bevor sie ihren Weg fortsetzten.
»Steig aus, Stara«, erklang die Stimme ihres Vaters.
Verwundert ertastete Stara sich den Weg zu dem Eingang des Wagens und stieg aus. Durch die Gaze konnte sie sehen, dass sie sich in einem anderen Innenhof befanden. Jemand zupfte an ihrem Gewand, und als sie sich umdrehte, stand Vora neben ihr. Erleichterung durchströmte sie.
»Ist es das?«, flüsterte sie.
»So scheint es, Herrin«, kam die Antwort.
Mein Mann lebt also ganz in der Nähe, dachte
Weitere Kostenlose Bücher