Magie
glauben, ein wenig Unrecht sei aus dem richtigen Grund entschuldbar, was werden wir dann noch alles entschuldigen oder für entschuldbar halten?
Sie seufzte. Wenn Jayan recht hat, dann setzen wir unsere Zukunft zum Wohl eines Volkes aufs Spiel, das unser eigenes Land zerrissen hat. Ich bin mir nicht sicher, ob viele Magier ihr Leben aufs
Spiel setzten, wenn sie die Dinge auf diese Weise sähen? Einige wenige mögen so nobel sein, aber nicht alle. Nein, die meisten Magier sind hier, um unsere plötzliche magische Überlegenheit auszunutzen und, wie ich vermute, um sich zu rächen.
Ein leises Murmeln unter den Magiern riss sie aus ihren Gedanken. Sie blickte die Nebenstraße entlang zu den schwachen Umrissen ferner Gebäude. Schatten bewegten sich vor ihnen. Obwohl sie keine erkennbaren Gestalten ausmachen konnte, bewegten sie sich auf die rhythmische, ruckartige Weise von Reitern, die sich mit großer Geschwindigkeit näherten. Etwas an dieser Hast erfüllte sie mit Furcht.
Als die Reiter näher kamen, verwandelten sie sich von Schatten in vertraute Gestalten. Sie war erleichtert zu sehen, dass Jayan unter ihnen war und dass niemand fehlte. Jayans Miene war wie die der meisten anderen grimmig und unglücklich. Narvelan stellte eine Ausnahme dar. Sein gerader Rücken ließ Trotz oder Entrüstung vermuten.
Oder ich deute zu viel in diese Haltung hinein, überlegte sie weiter, während sie beobachtete, wie Narvelan und zwei andere auf den König, Sabin und den Anführer der Elyner zuritten. Der Rest der Gruppe teilte sich auf; einige blieben zurück, um dem Gespräch der Männer zu lauschen, andere entfernten sich. Tessia sah Jayan den Kopf schütteln, bevor er sein Pferd zu ihr, Mikken und Dakon hinüberlenkte.
»Also«, murmelte Dakon. »Haben unsere Nachbarn euch einen freundlichen Empfang bereitet?«
Jayan versuchte ein Lächeln, das ihm misslang. »Der Herr des Guts war nicht zu Hause. Nur... Sklaven.« Er wandte den Blick ab, einen gehetzten Ausdruck in den Augen.
»Und die Sklaven?«, hakte Dakon nach, als Jayan nicht weitersprach.
Jayan seufzte. »Waren nicht glücklich, uns zu sehen, und hatten nicht viel übrig für unsere Pläne für sie.«
»Also hat Narvelan ihnen die Freiheit angeboten?«
»Ja.« Jayan runzelte die Stirn und sah abermals zu Dakon hinüber. Tessia bemerkte Schmerz, Schuldgefühle und eine Düsternis in seinen Augen, dann wurde seine Miene wachsam.
»Als wir erschienen, öffneten sie uns die Türen und warfen sich dann flach auf den Boden. Narvelan hat ihnen befohlen aufzustehen. Er hat ihnen erklärt, wir seien gekommen, um sie zu befreien, wenn sie mit uns zusammenarbeiteten. Dann begann er, Fragen zu stellen. Sie berichteten uns, dass ihr Herr fort sei, aber als er fragte, wo er sich befinde, war offenkundig, dass sie logen.«
Er verzog das Gesicht. »Also befahl Narvelan einem, näher zu treten, und er las die Gedanken des Mannes. Er sah, dass sie Boten zu ihrem Herrn geschickt hatten, der einen Nachbarn besucht, und dass sie ihm alle treu ergeben waren. Sie haben Angst vor ihm, aber sie sind ihm ergeben. Sie verstanden nicht, was Freiheit ist. Unser Angebot war bedeutungslos für sie.
Wir haben darüber gesprochen, was wir als Nächstes tun sollten, aber Narvelan meinte, wir hätten keine Zeit. Die Sklaven verbreiteten bereits die Nachricht unserer Ankunft. Wir mussten sie aufhalten, und wir mussten ihre Macht nehmen. Also taten wir es, während er aufbrach, um die Boten einzuholen.« Er hielt inne, um Atem zu schöpfen. »Als er zurückkehrte, hatten wir getan, was wir vereinbart hatten - wir hatten die Sklaven am Leben gelassen, aber zu erschöpft, als dass sie etwas unternehmen konnten. Er sah sie an und sagte, wir müssten sie töten. In wenigen Stunden würden sie genug Stärke zurückerlangt haben, um aufzubrechen und ihren Herrn vor uns zu warnen. Also...« Jayan schloss die Augen. »Also hat er sie getötet. Um uns davor zu bewahren... uns verantwortlich dafür zu fühlen.«
Ein Schauder des Entsetzens überlief Tessia, und sie hörte Mikken leise fluchen. Sie versuchte, nicht an die Sklaven zu denken, zu erschöpft, um sich zu bewegen, während der erste von ihnen starb und sie begriffen, dass ihnen dasselbe Schicksal bevorstand und sie nichts dagegen tun konnten, nicht einmal weglaufen.
Dakon sah zu Narvelan und dem König hinüber, dann wandte er sich wieder Jayan zu.
Statt Zorn sah Tessia Traurigkeit in den Zügen ihres Herrn.
Dann wurden seine Augen schmal.
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