Magier des dunklen Pfades 2 - Der Alte Bund (German Edition)
seines Lebens war wie die Zeit hier in Wintertal. Er war nicht ein ganz anderer Lorgyn wie zuvor. Verändert hatte er sich, das stand fest. Er hatte dunkle Täler durchschritten, dunkle Taten begangen. Und er hatte eine weitere dunkle Tat vor. Je länger er jedoch über Lehrmeister, magische Experimente, Prüfungen, Schwierigkeiten und Erfolgserlebnisse redete, desto dankbarer war er Laris, diese Frage gestellt zu haben. Ob bewusst oder unbewusst – irgendetwas in ihm war dadurch aufgebrochen wie Schorf auf einer eiternden, halb versiegelten Wunde. Nun konnte das frische, reine Blut die Fäulnis fortspülen.
»Klingt interessant«, seufzte Laris sehnsuchtsvoll, ihr Blick auf die Umgegend gerichtet, wo der Frühnebel zwischen den Sträuchern und Gräsern dunstete.
»So und so. Vieles war Routine. Aber ja, es gab auch aufregende Momente.«
»Meinst du, ich soll wieder studieren?«
»Möchtest du das denn?«
»Ich glaube schon.«
Eine Zeit lang schwelgten sie in Gedanken an Gewesenes und Bevorstehendes, bis Laris eine Frage stellte, die Lorgyn jäh aus seiner Beschaulichkeit riss.
»Was ist mit deinen Eltern? Wissen sie, dass du Magier geworden bist? Leben sie noch?«
»Zweimal nein.«
Laris hakte nicht nach. Trotzdem erzählte er ihr auch von ihnen. Erst zögerlich, vage, doch mit der Zeit näherte er sich dem Kern der Geschichte.
Laris hörte aufmerksam zu, und als er zu der Stelle mit dem Blut und dem Dolch und dem Neugeborenen im Tempel kam, hing ihr Blick irgendwo zwischen Unglaube und Schrecken.
»Es ist keine Schauergeschichte, sondern die Wahrheit«, sagte er ernst.
Das erste Mal seit Langem ohne eine einzige Lüge , spöttelte eine Stimme in seinem Kopf. Respekt!
»Der Alte Bund«, murmelte Laris. »In Firnas Hütte hast du ihn ebenfalls erwähnt.«
Lorgyn biss sich auf die Zunge. Verflixt! Laris hatte ein gutes Gedächtnis.
Sie sah ihn an. »Besteht da ein Zusammenhang?«
»Eigentlich nicht.«
»Also ja.«
Ausdruckslos sah er sie an. Besser, er ließe sich nicht auf dieses Spiel ein: Laris war schlau genug, um zu erkennen, dass das, was er ihr bei Firna erzählt hatte, nur ein verschwindend geringer Teil der ganzen Geschichte war.
Und wenn schon!
Was sollte passieren, wenn er ihr alles erzählte? Was nutzte ihr dieses Wissen? Letzten Endes würde er mit ihr das Ritual durchführen und Alunas Seele in ihren Körper pflanzen.
Schäbig bist du, Lorgyn de Daskula, dass du das weiterhin in Erwägung ziehst!
Er kniff die Augen zusammen und zählte in Gedanken langsam bis zehn.
»Gut«, sagte er und hob die Lider. »Du willst es ja nicht anders. Gib mir die Zügel.«
»Warum?«
»Damit du vor lauter Schreck nicht die Pferde in den Galopp peitschst, wenn du hörst, was ich zu sagen habe.«
*
Lorgyn dachte schon, Laris wäre in eine Art Schockstarre verfallen. Keine Reaktion, nichts, kein Mucks oder Zucken im Gesicht. Starr, die Hände auf dem Schoß gefaltet, saß sie auf dem Kutschbock.
»Laris?«, fragte er nach einiger Zeit.
»Ich denke nach.«
Weitere Minuten verstrichen. Gen Osten lag eine helle Schliere am Horizont. Der Morgen bahnte sich an. Der erste Morgen von Reikjol.
Im Gegenlicht zeichneten sich rechts des Wegesrandes die Silhouetten des verlassenen Anwesens ab, bei dem Arlo und er bei ihrer Fahrt nach Gruvak gerastet hatten.
Lorgyn lenkte das Gefährt in den Hof, den ein Narbengeflecht aus Radspuren überzog. Stammten wahrscheinlich von den Pilgern, deren Fuhrwerke sie am Nachmittag vom Fenster aus beobachtet hatten.
Er legte die Bremse ein und vertrat sich die Beine. Dann ging er zur Ladefläche, holte in Papier eingeschlagenes Pökelfleisch aus einem Beutel und aß. Sie hatten Proviant für mindestens zwei Wochen, alles aus Geroms Vorratsräumen.
Neben dem Beutel befand sich eine Holzkiste mit Laris’ Büchern. Sie hatte darauf beharrt, sie mitzunehmen, selbst wenn es sich dabei – rein rational betrachtet – um unnötigen Ballast handelte. Dennoch verstand Lorgyn sie. Seine beiden etwas heikleren Bücher hatte er einfach dazugelegt. Das war unauffälliger, als wenn er sie ständig mit sich herumtrug. Er hörte Schritte und wickelte eine weitere Portion Fleisch aus, die er Laris gab.
Nachdenklich biss sie ab und begann zu kauen, ihr Blick auf die verfallenen Gebäude gerichtet, obwohl er bezweifelte, dass sie diese wirklich wahrnahm.
Nachdem sie geschluckt hatte, senkte sie die Augen zu dem Stück Pökelfleisch. »Ist genauso schwer verdaulich wie deine
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