Magierdämmerung 02 - Gegen die Zeit
mischte sich nun auch Kendra ein. »Sagte Wellington nicht, er müsse zur Quelle zurück? Was immer er mit Mister Holmes und Mister Brown und den anderen beabsichtigt, es hat sicher mit der Quelle zu tun.«
»Das wissen wir nicht!«, widersprach Jonathan. »Möglicherweise bringt er seine Gefangenen auch nur aufs Meer hinaus, um sie über Bord zu werfen. Vielleicht schwimmen sie jetzt schon irgendwo dort draußen vor der Küste, und mit jeder Stunde, die wir die Verfolgung später aufnehmen, schwinden ihre Überlebenschancen mehr.«
»Da könnte Mister Kentham recht haben«, brummte Reynolds. »Diesem Hund ist alles zuzutrauen.«
Cutler schüttelte den Kopf. »Um ehrlich zu sein, glaube ich das nicht. Hätte Lordmagier Wellington auch nur einen von uns umbringen wollen, wäre ihm dies ein Leichtes gewesen. Über welche Kräfte er gebietet, hat er uns in der Großen Ratskammer bewiesen.«
»Ganz abgesehen davon könnten wir, wenn das wahr wäre, ohnehin nichts mehr für sie tun. Wir würden sie dort draußen auf dem Meer niemals finden«, sagte McKellen. »Mister Kentham, ich respektiere Ihre Loyalität diesen Männern gegenüber. Aber zum Wohl der ganzen Menschheit müssen Sie mir vertrauen. Wir müssen diesen Kampf auf meine Weise führen.«
»Was lässt Sie glauben zu wissen, dass Ihr Weg der richtige ist?«
»Ich weiß es nicht«, gestand Kendras Großvater mit ernster Miene. »Aber ich hoffe es. Und Sie alle sollten mit mir hoffen, denn wenn ich mich irre, mag es nichts und niemanden geben, der dem Wüten der Wahren Quelle ein Ende setzen kann.«
»Nun gut«, lenkte Jonathan zögernd ein. »Dann kann ich Ihnen vielleicht auf unerwartete Weise helfen …«
23. April 1897, 8:40 Uhr GMT
Ärmelkanal, vor der Küste von Southampton
Eine sanfte Berührung von etwas Weichem, das hartnäckig gegen seine Wange drückte, weckte Randolph. Mit unwilligem Knurren versuchte er, das störende Etwas fortzuwischen, aber er musste feststellen, dass er seine Hand nicht bewegen konnte. In seinem Schädel pochte es schmerzhaft, und die Zunge in seinem ausgetrockneten Mund fühlte sich dick und geschwollen an. Tausend Fragen schossen durch seinen Kopf, tausend Flüche warteten darauf, ihm über die Lippen zu kommen, aber im Augenblick wünschte er sich vor allem eines: »Wasser …«
Links neben ihm vernahm er ein heiseres Lachen. »Ja, ungefähr so bin ich auch erwacht. Watson, geh ihm aus dem Gesicht. Er ist wach.«
Der Druck auf seine Wange ließ nach, und ein leichter Windhauch schien an ihm vorbeizustreichen.
»Holmes …?« Der Kutscher zwang sich dazu, die Augen zu öffnen, und stellte fest, dass dies einer der Momente war, in denen man das besser einfach unterließ. Er befand sich in einem kleinen Raum, auf dessen Boden Metallgitter lagen, dessen graue, fleischige Wände und Decke hingegen einen unangenehm organischen Eindruck auf ihn machten. Einrichtung gab es keine in dem Raum; nur eine einzelne Lampe, die einem Arm gleich aus der feucht glänzenden Wand zu wachsen schien, erfüllte den unheimlichen Ort mit schwachem gelbem Schein. Eine zweite, gräulich schimmernde Lichtquelle saß drei Schritt vor ihm auf dem Boden und blickte ihn aus großen Augen erwartungsvoll an. »Und Watson …«
»Sehr gut, Randolph. Ihr Namensgedächtnis hat also nicht gelitten. Das ist erfreulich.«
Randolph versuchte den Kopf zu drehen, um den Magier anzusehen. Es gelang ihm nur mit einiger Anstrengung. Als er seine Augen verdrehte und den Blick über seinen Körper schweifen ließ, erkannte er auch, warum das so war. Er steckte von Kopf bis Fuß in der Wand!
Es war, als hätte sich die graue Wand einem fleischigen Vorhang gleich geöffnet und dahinter einen Alkoven enthüllt, in den seine Entführer – und Randolph zweifelte nicht daran, dass dies hier das Werk von Wellington und seinen Jüngern war – ihn gesteckt hatten, während er noch bewusstlos gewesen war. Anschließend hatte sich der Vorhang wieder geschlossen und ihn vollständig in dickhäutiges, muskulöses Fleisch eingehüllt. Irritierenderweise zeichnete sich ein Muster wie von Schweißnähten auf dem Grau ab, und verknorpelt wirkende Beulen erinnerten an Nietenreihen auf einem Schiffsrumpf.
Als er seinen Kopf, der offensichtlich ebenfalls von dicken Hautlappen festgehalten wurde, so weit gedreht hatte, das Holmes in sein Blickfeld rückte, erkannte er, dass es dem Magier kein bisschen besser ergangen war als ihm. Auch er war vollständig gefangen, ein
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