Magierdämmerung 02 - Gegen die Zeit
fixierte Randolph mit einem Blick aus seinen irritierend funkelnden Augen. Ein freudloses Lächeln umspielte seine schmalen Lippen. »Keine Sorge, meine Herren«, sprach er an Carlyle und Hyde-White gerichtet weiter, ohne jedoch den Blick von Randolph zu nehmen. »Die Aufrührer werden für ihre Missetaten bezahlen, und zwar so teuer, dass auch Ihre übersteigerten Rachegelüste befriedigt werden dürften. Vorerst hingegen wollen wir nur dafür sorgen, dass sie uns keinen weiteren Ärger bereiten.«
Der Angriff kam so plötzlich und ohne jedwedes verräterische Zucken, das ihn hätte vorwarnen können, dass Randolph davon vollkommen unvorbereitet getroffen wurde. Ein Magieschlag von ungeheurer Stärke hämmerte ihm direkt durch die Stirn. Für einen Moment war ihm, als jagten die chaotischen Energien knisternd durch all seine Gehirnwindungen. Ein gleißend heller, heißer Schmerz explodierte in seinem Schädel, und er schrie überrascht und schmerzerfüllt auf.
Im nächsten Moment verlor er das Bewusstsein.
22. April 1897, 18:59 Uhr GMT
England, London, geheime Hallen des Ordens des Silbernen Kreises
Von tiefer Trauer erfüllt schritt Victor Mordred Wellington durch die Korridore der Unteren Guildhall. Überall stürzten seine Anhänger schwer beladen mit Büchern und persönlichen Habseligkeiten zum Westausgang und den geheimen Fluchttunneln des Ordenshauptquartiers. Eine Gruppe der fischartigen Quellwächter unter der Führung von Hyde-White eskortierte das gute Dutzend Magier, das ihnen nach der Flucht eines Großteils der Gefangenen geblieben war, aus dem Kellertrakt hinaus und zu den Kutschen, die bereitstanden, sie alle von hier fortzubringen, bevor die Gänge und Hallen von neugierigen Ordnungshütern und Reportern wimmelten.
Was für ein Verlust … was für ein grauenvoller Verlust! , dachte der Erste Lordmagier bekümmert. Ja, er hatte die bestehende Ordnung des Silbernen Kreises aufheben und durch seine Vision vom Neuen Morgen der Magie ersetzen wollen. Ja, er war auch bereit gewesen, den halben Orden zu opfern, um seine Ziele – zum Wohle Englands natürlich – zu erreichen. Aber dieser Preis hier … dieser Preis war zu hoch. Hunderte von Jahren hatte der Orden des Silbernen Kreises an diesem Ort heimlich gelebt und gewirkt. Die Untere Guildhall war das Zentrum gewesen, um das sich alles gedreht hatte, ein Ort der Kraft für jene, die sich schwach fühlten, und eine Heimat für sie alle, die in der normalen menschlichen Gesellschaft im Grunde heimatlos waren.
Wellington erinnerte sich an die nächtelangen Studien, die er mit Männern wie Carlyle und Crowley in der Bibliothek verbracht hatte. Ihm kamen die erfrischenden Diskussionen über Magie und Politik in den Sinn, die er mit Mary-Ann McGowan und, ja, auch dem Exzentriker und unverbesserlichen Störenfried Jupiter Holmes geführt hatte. Im Archiv, hinter Regalen, in denen alte Protokollbücher des Ordens, Kisten mit dem Schriftverkehr aus Hunderten von Jahren und allerlei magischer Krimskrams verstaubten, hatte ihm die bezaubernde Melissa Esperson, die er bedauerlicherweise beim Ausbruch der Wahren Quelle der Magie verloren hatte, zum ersten Mal auf empörend sündige Art und Weise gezeigt, dass sie bereit war, alles zu tun, um von seinem Wissen und seinem Einfluss profitieren zu können. Und als junger Mann hatte er zusammen mit einem nur wenig älteren Albert Dunholm im Roten Salon gesessen; sie hatten geraucht und große Pläne für die Zukunft geschmiedet.
Zum ersten Mal seit Jahren fragte sich Wellington, ob das, was er hier tat, das Richtige war.
Aber hat nicht auch Cortés, bevor er mit seinen Männern die Neue Welt eroberte, seine Schiffe am Strand verbrennen müssen, um alle Brücken zur Vergangenheit abzubrechen und den Blick mutig und ungetrübt nach vorne richten zu können? Genau das war es, erkannte er. Auch er musste die Schiffe, die ihn in der Vergangenheit festhielten, in Brand stecken, seine Gedanken von dem Gestern lösen und sich einzig und allein auf das große Werk, das er zu vollbringen gedachte, konzentrieren.
Aus einem Seitengang trat Carlyle auf ihn zu. Sein Körper und seine Kleidung waren schmutzig und zerschunden, aber in seinen Augen brannte eine Entschlossenheit, die Wellington Kraft gab. »Lord Wellington, wir sind so weit. Wir haben gerettet, was wir in der Kürze der Zeit retten konnten. Miss Potts hat Ihre persönlichen Habseligkeiten in die erste Kutsche verladen lassen. Jetzt müssen wir hier
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