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Magierdämmerung 03 - In den Abgrund

Magierdämmerung 03 - In den Abgrund

Titel: Magierdämmerung 03 - In den Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Perplies
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die ihren Geist öffneten, von den Ahnen der Pfad gezeigt wurde, den sie zu beschreiten hatten.
    Eigentlich war er davon ausgegangen, dass sich ihm dieser Pfad nur in Form eines vagen Gefühls offenbaren würde. Für gewöhnlich war das der Fall, wenn sich der von seinem Volk und vielen anderen Stämmen als Seher verehrte Mann der Meditation hingab. Doch vielleicht lag es an seiner gestrigen Reise in die Sphäre der Magie selbst, vielleicht auch an dem Umstand, dass die Welt sich in diesen Tagen an einem Scheideweg befand, von wo aus ihre Geschicke sich in vollkommen gegensätzliche Richtungen entwickeln konnten: Jedenfalls war im Morgengrauen, als sich die ersten Strahlen der Sonne über den Bergen gezeigt hatten, die Vision über ihn gekommen. Wovoka hatte gespürt, wie die seinen ganzen Körper durchdringende Magie plötzlich in ihm erwachte, und als er sich ihr ergab, sich von den Energien treiben ließ, war eine Flut von Bildern über ihn hereingebrochen.
    Die meisten von ihnen waren verstörend gewesen. Sie hatten ihm eine Welt gezeigt, in der die Ordnung der Dinge durcheinandergeraten und die Natur aus dem Gleichgewicht gebracht war: schreiende Menschen, wuchernde Bäume, einstürzende Häuser, von züngelnden, glitzernden Flammen in Brand gesteckt, von vielfarbig schillernden Sturmwinden verweht, verzerrt und verwandelt, wunderschön und schrecklich zugleich. Er hatte riesige graue Vögel am Himmel gesehen, die donnernd den Tod brachten, nur um selbst brennend zu vergehen, und er hatte auf entvölkerte Einöden hinabgeschaut, in denen das Gras schwarzmetallisch glänzte und schwefelgelbe Dunstschwaden alles Leben erstickten. Und wieder und wieder war ihm eine Insel mitten im Meer erschienen, in deren Mitte eine Pyramide aufragte, aus der eine gleißende Säule aus Licht zum Himmel stieg: die Wahre Quelle der Magie. Männer kämpften und starben dort. Ein gewaltiges Fluggefährt zog brennend durch ein Meer aus Weiß. Und er sah sich selbst auf einem seltsamen grauen Berg stehen, die Augen geschlossen, die Arme weit ausgebreitet und das Gesicht zu einer Fratze der Anstrengung verzerrt. An diesem Ort, so hatte Wovoka verstanden, würde sich das Schicksal der Erde entscheiden.
    So schnell, wie sie über ihn gekommen war, hatte ihn die Vision auch wieder verlassen. Das war vor drei Stunden gewesen. Seitdem saß Wovoka stumm da und dachte nach.
    Was hält dich auf? , fragte ihn eine Stimme in seinem Geist.
    Der Paiute musste sich nicht umschauen, um zu wissen, dass Haba zurückgekehrt war. Haba war ein Schatten aus dem Totenreich, der die Gestalt eines graubraunen Präriehasen angenommen hatte und irgendwie immer dann auftauchte, wenn Wovoka jemanden brauchte, der ihm dabei half, seine Gedanken zu ordnen. »Ich zweifle«, beantwortete er Habas Frage.
    Warum zweifelst du? Hat dir die Vision nicht deutlich gezeigt, was du tun musst?
    »Was, wenn ich irre?«, fragte Wovoka dagegen. »Was, wenn ich sie falsch verstehe und durch mein Eingreifen genau das heraufbeschwöre, was ich eigentlich verhindern will? Ich habe schon einmal versagt.«
    Du sprichst vom Geistertanz?
    »Ja.«
    Die Vision vom Geistertanz … Sie war das wahrscheinlich einschneidendste Erlebnis in Wovokas bisherigem Leben gewesen – und zugleich der Grund für seine größte Schuld. Es hatte sich während der Sonnenfinsternis am ersten Tag des Jahres 1889 ereignet, und Wovoka war ein in jeder Hinsicht deutlich jüngerer Mann gewesen, kaum mehr als dreißig Sommer alt und noch vollkommen unberührt von der Magie und ihren Fäden.
    Erzähl mir davon , bat Haba.
    Verwirrt runzelte Wovoka die Stirn. War es möglich, dass er dem Hasen tatsächlich noch nie von den damaligen Geschehnissen, die schon ein Jahr später ein so tragisches Ende fanden, berichtet hatte? Aber wir haben uns doch direkt danach kennengelernt … Nein, das stimmte nicht. Es war im Jahr darauf gewesen. Questing hatte Haba mitgebracht.
    »Ich meditierte«, begann Wovoka leise. »Genau wie heute. Der Mond hatte die Sonne verfinstert. Es war ein Tag voller Verheißung, ein Tag, an dem die Geister der Ahnen den Lebenden nah zu sein schienen. Auf einmal überkam mich ein Gefühl, wie ich es noch nie zuvor erlebt hatte.« Der Paiute erinnerte sich zurück. Es war wie ein Prickeln gewesen, wie das Wandern von Tausend Ameisen über seine wettergegerbte Haut, und es hatte ihn von Kopf bis Fuß vollständig erfüllt. »Und plötzlich erschienen Bilder in meinem Geist. Ich sah eine Welt, die dem

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