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Magierdämmerung 03 - In den Abgrund

Magierdämmerung 03 - In den Abgrund

Titel: Magierdämmerung 03 - In den Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Perplies
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Dielen ins Wohnzimmer. Eine graue Decke aus Staub lag auf den alten Möbeln, die dort noch herumstanden, und feine glitzernde Staubteilchen tanzten in den scharf begrenzten Lichtstrahlen, die durch schmale Spalten zwischen den schweren, dunklen Vorhängen vor den Fenstern hereinfielen. Der Seher trat an eines der zur Straße weisenden Fenster und lugte hinaus. Draußen herrschte heller Sonnenschein, und der Länge der Schatten nach zu urteilen, musste es um die Mittagszeit sein. Das war schon mal gut. Gegen Mittag hatte er auch seine Reise vom Yosemite Park aus angetreten. Er hatte dreitausend Meilen ohne nennenswerten Zeitverlust überbrückt. Danke, Questing, wo auch immer Sie sein mögen.
    Damit war der schwierigste Teil seiner Reise überstanden. Nun würde er nur noch einen Zug besteigen müssen, und schon bald würde er in New York sein. Entschlossenen Schrittes begab sich Wovoka zur Eingangstür. Einen kurzen Moment lang schwebte seine Hand über dem Türknauf, während er sich fragte, ob er sich besser unsichtbar machen sollte. Dann schüttelte er den Kopf. Für gewöhnlich verwirrte es die Leute viel mehr, wenn sich Gartentüren wie von Geisterhand öffneten, als wenn ein fremder, harmlos aussehender Bürger aus einem leerstehenden Haus kam, ohne dass sie ihn hatten hineingehen sehen. Sollte ihn jemand ansprechen, konnte er immer noch behaupten, er habe gehört, das Gebäude stünde zum Verkauf, und er habe es sich anschauen wollen.
    Ein Blick durch das in die Tür eingelassene Rundfenster überzeugte ihn aber davon, dass solcherlei Ausflüchte vermutlich nicht nötig sein würden. Die Straße vor dem Haus wirkte wie leergefegt. Gewiss saßen alle braven Bürger zum sonntäglichen Mittagsmahl um die heimische Tafel. Ohne weiter zu zögern, öffnete er die Tür und trat hinaus ins Freie – nur um gleich darauf innerlich das Gesicht zu verziehen, als er sah, wie just in diesem Augenblick eine Mutter mit ihrem vielleicht sieben Jahre alten Sohn die Straße heruntergelaufen kam. In dem Wissen, dass er daran nun auch nichts mehr ändern konnte, schloss der Paiute sorgfältig die Tür und verriegelte sie mit einigen raschen Bewegungen seiner Finger. Mit betont gleichmütiger Miene überquerte er die schmale Veranda vor dem Haus, stieg die drei Stufen hinab und schlenderte durch den verwilderten Vorgarten zur Gartentür.
    Der Junge, der bislang artig hinter seiner Mutter hergelaufen war, blieb neugierig stehen. Er war adrett in einer Art dunkler Matrosenuniform gekleidet, und die Kanten seines Haarschnitts wirkten wie mit einem Lineal gezogen. Aus klugen Augen schaute er Wovoka entgegen.
    »Guten Tag, mein Junge«, grüßte der Seher ihn. Es gab keinen Grund, unhöflich zu sein.
    »Guten Tag, Sir«, erwiderte der Junge. Sein Blick huschte zu dem verfluchten Haus hinüber und dann zu Wovoka zurück. Diesem wurde auf einmal klar, dass er als Indianer mit seiner wettergegerbten Haut und dem schwarzen, breitkrempigen Hut auf einen siebenjährigen Ostküstenknaben zweifellos höchst verdächtig wirken musste. Mit einem Lächeln versuchte er, das Unbehagen des Jungen zu zerstreuen.
    »Ich hörte, das Haus stünde zum Verkauf«, flüchtete Wovoka sich in seine vorbereitete Ausrede. »Ich wollte es mir mal ansehen, aber es wirkt ziemlich heruntergekommen. Was meinst du, mein Junge?«
    Erneut glitt der Blick des Knaben über die niedrige Hecke zu dem Gebäude. »Es ist ein böses Haus«, stellte der Junge fest. »Ein Hexer lebte darin, und noch immer geht es dort nicht mit rechten Dingen zu.« Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Wovoka, als schließe er den Indianer in diese Dinge mit ein. »Sie sollten es nicht kaufen. Es bringt nur Unglück.«
    Der stille Ernst des Jungen überraschte Wovoka. Die Kinder in seinem Alter, die der Paiute aus dem Westen kannte, waren deutlich lebhafter und von leichterem Gemüt.
    »Howard!«, rief eine strenge Frauenstimme die Straße hinunter. Die Mutter des Jungen hatte sein Zurückbleiben endlich bemerkt. »Howard, komm sofort her!«
    Der Junge warf einen Blick über die Schulter. »Ja, Mutter«, rief er. Trotzdem sah er Wovoka noch einmal an. »Ich darf nicht mit Fremden sprechen«, erklärte er. »Aber Sie sind kein Fremder, nicht wahr? Sie sind wie ich. Sie haben die andere Welt gesehen.«
    Wovoka blinzelte verblüfft. Rasch wechselte er in die Wahrsicht und wieder zurück. In dem Jungen steckte tatsächlich Magie. Zweifellos verstand er noch nicht, was ihn von anderen Kindern

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