Magierschwur (Mithgar 06)
Tipperton erneut den Wachtposten. »Ihr habt Euch nicht geirrt: Er steht dort, wo er einen guten Blick auf die Straße und die Stadt hat.«
Lyra nickte. »Ja. Dieser Wachtposten steht höher als die beiden auf dem Westhang. Es gibt noch zwei, welche die Straße nach Osten bewachen, aber sie sind im Moment nicht wichtig.«
»Wo ist der Wachtposten, zu dem Vail und Elon geschlichen sind?«
Lyra streckte die Hand aus. »Den Hügel hinab, weiter links. An der Klippe dort drüben.«
Tipperton blickte hinüber. Schließlich sah er, wie sich der Wachtposten bewegte. »Und die beiden können am besten nach Westen Ausschau halten?«
»Aye.«
Sie warteten noch einen Moment, bis Lyra hinzufügte: »Es verhält sich genauso, wie wir im Kriegsrat angenommen haben. Den Aufstellungen ihrer Wachen zufolge, erwarten sie keine Streitmacht aus nördlicher Richtung, die nach Süden durch diese Hügel zieht. Sie fürchten die Wälder und würden sie selbst niemals durchqueren. Stattdessen glauben sie, dass jeder, der aus dem Darda kommt, östlich auf der Straße marschiert.«
»Verstehe. Also bewachen alle diese Posten den üblichen Weg.«
»Richtig«, bestätigte Lyra. »Dasselbe tun auch die Wachen auf der anderen Seite der Stadt. Aber ob sie die Straße beobachten oder nicht, die Posten werden die anderen alarmieren können. Denn nach dem Sonnenuntergang wird die Vorhut eintreffen, und die schleichen sich nicht auf leisen Pfoten heran wie wir, sondern kommen auf eisenbeschlagenen Hufen daher.«
Sie warteten noch eine Weile, bis die Sonne schließlich hinter dem Horizont versank. Zwielicht senkte sich über das Land, und der Halbmond ging auf.
Tipperton sah Lyra an.
»Aye, es ist Zeit«, erklärte sie. »Elon und Vail sind mittlerweile gewiss in Position und warten auf unser Signal.« Sie legte einen Pfeil auf die Sehne. Hastig nockte Tipperton ebenfalls einen Pfeil ein. »Wir schießen gleichzeitig«, sagte sie, »denn es ist unwahrscheinlich, dass wir beide das Ziel verfehlen.«
Tipperton nickte.
»Ihr zählt, und wir schießen bei drei«, fügte Lyra hinzu.
Wieder nickte Tipperton. Lyra spannte die Sehne und zielte. Tipperton ebenfalls.
Dann wurde ihm plötzlich klar, dass sie einen ahnungslosen Gegner töten würden …
… wohingegen es zuvor immer geheißen hatte: Töten oder getötet werden …
… sie würden ihm in den Rücken schießen …
… aber der Rukh da unten …
Komm schon, Wurro, du schaffst das!
… wusste nichts …
Zitternd ließ Tipperton den Bogen sinken.
Lyra sah ihn fragend an, und dann senkte auch sie ihre Waffe.
»Er weiß nicht einmal, dass wir hier sind«, flüsterte Tipperton.
Lyra nickte. »Denkt an alle, die von seinesgleichen abgeschlachtet wurden. Denkt an die Menschen in Braeton, und auch an die in Stede und Annory, und an die Verratenen von Caer Lindor. Baeron, Elfen, Wurrlinge und Eure Rynna und …«
Tipperton brachte sie mit erhobener Hand zum Schweigen, als sie das wiederholte, was er sich in den letzten drei Tagen ständig selbst gesagt hatte. Er biss die Zähne zusammen und hob seinen Bogen. Lyra zielte ebenfalls erneut.
Tief einatmen, halb ausatmen, anhalten, zielen …
»Eins … zwei … drei …«
Zwei Sehnen summten, und zwei Pfeile sausten durch die Luft und landeten mit dumpfen Lauten im Rücken des Rukh-Wächters. Die eisernen Spitzen durchschlugen den Leib des Rukhs und kamen zur Brust wieder hinaus. Mit einem leisen Grunzen stürzte er kopfüber zu Boden und blieb reglos unter dem Felsvorsprung liegen.
»Kommt«, sagte Lyra. »Wir müssen ihn wegschaffen und jede Spur seines Todes verwischen.«
»Aber …«
»Nein, Tipperton, kein Aber, denn ich brauche seine Kleidung. Es könnten andere kommen, die ihn ablösen, und wir dürfen nicht riskieren, dass sie Alarm schlagen.«
Sie huschten im Schutz des Zwielichts geduckt den Hügel hinunter zu dem toten Wachtposten. Der Rukh hatte vor Überraschung im Tod die Augen weit aufgerissen, und schien dennoch Tipperton anklagend anzustarren, als er den Posten an den Füßen packte, während Lyra ihn unter die Achseln fasste.
Sie zogen ihn in das Dickicht zurück. Das Horn des Wachtpostens hing an einem Lederband herunter und schlug klappernd gegen die Steine. Sie legten die Leiche in den Wald und huschten erneut zu dem Felsvorsprung. Diesmal nahmen sie einen Krummsäbel, eine halb volle Trinkflasche und einen kleinen Beutel mit dunklem Fleisch mit, und warfen Erde über die Stelle am Boden, in die Blut
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