Magische Insel
Tagesanbruch fortgegangen, um sich in seiner Funktion als Magier um irgendeine Angelegenheit zu kümmern.
Wahrscheinlich hatte ich die Brötchen zu schnell hinuntergeschlungen. Mein Magen knurrte so laut, dass er beinahe Gairlochs Protest übertönte.
»Heu allein reicht dir wohl nicht, mein Freund.« Ich legte die Satteltaschen über die Trennwand und sah nach, ob mein Sattel und die alte Decke noch dort lagen, wo ich sie hingelegt hatte. Alles war da. Ein Beweis, dass die Herberge ehrlich war oder dass meine Sachen weniger wert waren als die anderer möglicher Opfer. In der Ecke stand immer noch mein vom Schutzschild umgebener Stab. Ich fasste das Holz nicht an, da der Schild verschwände, sobald meine Hände ihn berührten.
»Schon besser«, war alles, was der Graue Magier über meine Tarnversuche gesagt hatte, und dieses Lob schien ihm nur schwer über die Lippen zu kommen.
Gairloch wieherte laut.
»Ooooooooooh …«
Peng!
Bei Gairlochs Wiehern hatte ich den Schrei überhört, aber nicht den anschließenden lauten Aufprall.
Ohne nachzudenken, packte ich meinen – jetzt nicht mehr unsichtbaren – Stab und stürmte aus dem Stall. Der Hof war vollkommen leer. Ich hörte auch nichts.
»Jetzt …«
Die Stimme kam aus der Gasse. Wie es viele andere Narren auch getan hätten, folgte ich dem Klang. Zwei gutgekleidete Burschen standen im Schatten der Gasse, die in die Stadtmitte führte. Jetzt blickten sie in meine Richtung. Der Kleinere rechts stieß eine Frau in zerrissenem Gewand gegen die Ziegelmauer hinter sich.
Der Größere hatte das Schwert gezückt. Jetzt schaute er mich an. Dann sah er den Stab … und lachte. »Du bist so gut wie tot, Junge.« Er gab seinem Kumpanen, der die Frau festhielt, ein Zeichen. »Lass uns gehen, Bildal.«
Ohne einen weiteren Blick auf mich oder das zusammengesunkene Häuflein Elend neben der Mauer stolzierten die beiden Burschen zum Ende der Gasse, die dort auf einen Platz mündete, auf dem ich Wagen und Pferde sah.
Ich ging zu der Frau. Starr blickte sie mich mit den schwarzen Augen an. Ihr Blick fiel auf den Stab. Tränen quollen ihr aus den Augen. Sie hatte die Lippen fest zusammengepresst. Auf ihrer linken Wange war die Haut abgeschürft, als der Rohling sie gegen die raue Ziegelmauer gestoßen hatte. Ihre saubere weiße Bluse war vorn aufgerissen. Sie zog die Schultern nach vorn und kreuzte die Arme über der Brust, um sie zumindest teilweise vor neugierigen Blicken zu schützen.
Trotz der grauen Strähnen im Haar und den Pockennarben im Gesicht bot ihre schlanke, aber wohlgerundete Gestalt einen reizvollen Anblick, als sie sich aufsetzte, ohne die Hände zu benutzen, die seltsam schlaff herabhingen. Die Tränen flossen stärker. Offenbar litt sie unter großen Schmerzen.
»Mach mit mir, was du willst, du schwarzer Teufel. Deine Tage sind gezählt.«
Ich war vor Verblüffung sprachlos. Die Frau war geschlagen und um ein Haar vergewaltigt worden. Ich hatte sie davor und möglicherweise vor noch Schlimmerem bewahrt, und jetzt war ich ein schwarzer Teufel!
»Der Vicomte wird dich schnappen!«
Ich zuckte mit den Schultern und tat völlig unbesorgt, obgleich ich das keineswegs war. Da man mich sowohl als Schaf auch anstelle des Wolfs hängen konnte, stellte ich den Stab an die Mauer und berührte behutsam die Handgelenke der Frau.
»Oh …«
Ich kann nicht sagen, was ich eigentlich tat. Ich wendete meine Erfahrungen mit den Schafen sowie und einen Teil davon an, was ich gelesen hatte. Meine Gedanken und Sinne berührten die Knochen und Ströme, die Ordnungen und Unordnungen, die sich durch und um ihr System wanden.
»Oh …«, wiederholte sie, diesmal leiser, und blickte verwundert auf ihre Handgelenke.
»Sie sind noch nicht vollständig geheilt«, erklärte ich. »Ich kann dir auch nicht sagen, wann es soweit ist. Sei daher vorsichtig.«
Vielleicht waren es meine Worte, vielleicht aber auch das plötzliche Fehlen von jeglichem Chaos in ihrem System – jedenfalls verlor sie das Bewusstsein. Damit bescherte sie mir wieder ein Problem. Wahrscheinlich würde die örtliche Zauberkontrolle gleich kommen und meinen Kopf verlangen.
Keiner wäre begeistert über die Folgen meines Besuchs. Weder Justen noch der Vicomte oder die misshandelte Frau, obgleich sie nach der Heilung jünger und schöner als in den Jahren zuvor sein würde.
Trotzdem konnte ich sie nicht einfach in der Gasse liegenlassen. Das hieß, mit Frau und Stab zum Stall zurückkehren und hoffen, dass
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