Magische Insel
verstanden hatten, teilte Gilberto uns in Paare ein. Erst kämpften wir gegen ihn oder einen seiner Helfer, dann auch gegeneinander.
Irgendwann stand ich Tamra gegenüber, aber nicht auf dem Gebiet, das ich mir gewünscht hätte.
Wir standen am Rand des weißen Kreises auf dem grünen Boden. Draußen war der Spätsommerhimmel bewölkt. Das war eher eine Ausnahme als die Regel. Durch die hohen Fenster fiel graues Licht.
Tamra lächelte. Ihr Gesicht leuchtete auf, wenn sie lächelte, aber es war kein angenehmes Lächeln. »Welche Regeln, Magister Gilberto?« Die Finger in den dicken Handschuhen packten die Mitte des Übungsstabs fester. Dort war er nicht gepolstert. Ihre Augen waren auf mich geheftet, als studiere sie ein Insekt oder ein Wandgemälde.
Eine Locke ihres flammendroten Haars schaute unter dem Übungshelm hervor, der aus Holz und Leder bestand und dick gepolstert war.
»Tamra …«, begann Gilberto. »Keine Schläge aufs Gesicht, die Knie, die Ellbogen oder zwischen die Beine.«
»Damit kann ich leben«, erklärte der Rotschopf.
Ich dachte, dass ich das ebenfalls könne, doch missfiel mir der Blick in Tamras Augen und die instinktive Lockerheit, mit der sie in Kampfstellung ging. Aber ich war einen Kopf größer als sie und bestimmt doppelt so stark. Gegen Demorsal, einen von Gilbertos Helfern, hatte ich mich in den letzten Tagen wacker geschlagen.
Tamra würde jeden Schlag verdienen, den ich bei ihr landen könnte. Dieses eingebildete Luder. Immer tat sie so überlegen, als gehöre sie eigentlich nicht zu uns, dem Fußvolk.
»Zwei zu eins, sie besiegt ihn …« Myrtens heiseres Flüstern störte mehr als die Wette. Er wettete bei jeder Gelegenheit.
Ich sah nicht so gut, wie ich es mir gewünscht hätte. Der Helm hinderte meinen Rundblick, aber ich vermutete, Myrten hatte mit Sammel gewettet.
»Ihr fangt an, wenn ich es sage, und hört mit der Glocke auf. Verstanden? Bereit?« Gilberto verließ den Kreis und schaute Tamra an. »Tamra?«
Sie nickte.
»Lerris?«
»Ja.« Ich nickte, ohne Tamra aus den Augen zu lassen. Ich verstand nicht, warum alle einen Kampf zwischen mir und Tamra für eine große Sache hielten. Sie hatte eindeutig mehr Erfahrung, aber ich war stärker und beinahe gleich schnell.
Myrten setzte wahrscheinlich auf Tamra, weil ich ihn in der letzten Runde verdroschen hatte. Wenigstens war ich zumindest in etwas halbwegs gut.
»Los!«
Tamra bewegte sich auf meine rechte Seite. Ich drehte mich auf der Stelle.
Peng! Nur in letzter Sekunde hatte ich den Stab hochgebracht, um ihren Schlag zu parieren.
Peng … peng … peng …
Ich wich ständig zurück, um mich zu verteidigen.
Peng … peng … peng …
»Auuu …« Ihr letzter Schlag hatte meine unteren rechten Rippen getroffen. Ihr Stab zuckte wie Blitze mal hierhin, mal dorthin.
Peng … peng …
Dieser Schlag traf meine linken Rippen.
Peng …
Mein Stab zischte an den ihren vorbei und landete auf ihrem Oberschenkel.
PENG …
Der grüne Boden kam mir entgegen, aber ich konnte nichts dagegen tun. Dunkelheit und Sterne begrüßten mich.
»… armer Hund …«
»… das dürfte reichen, Magister Gilberto, oder?«
Ich blinzelte und setzte mich auf. In meinem Kopf drehte sich alles.
»Es reicht, Tamra.« Gilbertos Stimme klang trocken. »Wie geht’s dir, Lerris?«
Ich hatte das Gefühl, mein Kopf wäre ein Baumstamm, von dem man die Rinde geschält hatte. Meine Rippen schmerzten fürchterlich. Tamra gab sich nicht viel Mühe, ihr Grinsen zu unterdrücken. »Alles bestens.« Ich musste meine gesamte Kraft aufbieten, um überhaupt zu stehen.
»Warum duschst du nicht heiß?« schlug der Waffenmeister vor.
Ich widersprach nicht. Meist war es mir gleichgültig, wenn das Wasser lauwarm war. Heißes Wasser war Luxus bei der Bruderschaft in Nylan. Noch nie war mir dieser Luxus verlockender erschienen.
»Krystal … Wrynn … Langdolche … nehmt die hölzernen.«
Irgendwie fanden meine Füße den Weg zu den Spinden, wo ich die wattierte, weite Übungskleidung ablegen musste.
»Sie hat dich etwas zu hart herangenommen.« Demorsal lehnte an der Wand.
»Hmmm.« Die Tunika war halb über meinem Kopf.
»Aber das kommt davon, dass du gegen dich selbst kämpfst, was du ja nicht zugeben willst.«
»Nicht du auch noch!« Ich entledigte mich der Tunika. »Was, zum Teufel, meinst du? Jeder erzählt mir, ich solle nicht gegen mich selbst kämpfen.«
»Ich sollte es dir nicht sagen … Talryn meint, dass wir es alle selbst
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