Magisches Spiel
bedenkt, dass du ihm das Herz aus dem Leib reißen könntest. Da wäre es
doch gescheiter, wenn er dich einfach überrumpelt, bevor du allzu viel Zeit hast, darüber nachzudenken.«
Ja, das klang nach Kaden, obwohl es sie überraschte, dass Tucker so tief in seine Seele blicken konnte. Aber andererseits war Tucker ein interessanter Mann. Entsprechendes galt auch für alle anderen Freunde Kadens. Sie empfand eine Spur von Schuldbewusstsein, weil sie Smalltalk betrieb und nur darauf wartete, dass sie aus der Küche gingen, damit sie das Geschirr spülen konnte, aber andererseits würde sie ihre Eltern der Obhut dieser beiden Männer überlassen, während sie sich auf die Jagd nach den Mördern begab. Sie musste absolut sicher sein, dass sie die Menschen, die sie liebte, nicht bei eben diesen Mördern zurückließ. Sie ließ Wasser in das Spülbecken einlaufen und behielt sorgsam die Tür im Auge, bis sie gegangen waren, bevor sie ihre Handschuhe auszog.
Tansy ließ sich auf einen Stuhl sinken und musterte Tuckers Becher von allen Seiten, bevor sie ihre Hände um ihn legte, ohne ihn ganz mit den Handflächen zu berühren, denn sie hoffte, das würde reichen, um Eindrücke zu gewinnen. Sie schloss die Augen und ließ die Energien über sich hinweg- und durch sich hindurchströmen. Er hatte sie belogen – er machte sich große Sorgen um Kaden und die anderen und wünschte, er wäre dort, um ihnen Rückendeckung zu geben. Ihm war äußerst unwohl dabei zumute, dass er nicht bei seinem Team war, auf seinem üblichen Posten, von dem aus er über die anderen wachte und ihnen während einer Schießerei Schutz gab. Er machte sich Sorgen, Kaden könnte bis über beide Ohren in sie verliebt sein.
Sie gewann einen unmittelbaren Eindruck von großer Loyalität; dieser Mann stand zu denen, die er liebte,
und zu seinen Freunden, er besaß ein ausgeprägtes Ehrgefühl, und er war sehr patriotisch. Bilder aus seiner Vergangenheit gingen ihm durch den Kopf, von Aufträgen, bei denen etwas schiefgegangen war. Der Kongo. Kolumbien. Sie sah Bilder von Kaden, der blutüberströmt und mit grimmigem Gesicht wild um sich schießend durch eine Tür gestürzt war und einen heiseren Ruf ausgestoßen hatte. Dichte, dunkle Rauchschwaden wogten um sie herum. Tucker legte mit einem Mann über der Schulter einen Spießrutenlauf durch Flammen und Beschuss zurück, während Kaden und Nico zu beiden Seiten neben ihm herrannten und ihm Feuerschutz gaben. Ryland lief mit einem ratternden Maschinengewehr voraus, und hinter Tucker und dem Verwundeten liefen Gator und zwei andere, die sie nicht kannte.
Tucker war kein Serienmörder, und mehr brauchte sie über seine Vergangenheit nicht zu wissen. Sie zwang ihre Hände, sich von dem Energiefeld zu lösen, rollte ihre Finger auf ihrem Schoß zusammen und wartete darauf, dass ihr Verstand wieder klar wurde. Das vertraute Pochen in ihren Schläfen warnte sie, dass sie ihre Gabe zu oft und zu dicht hintereinander eingesetzt hatte, doch obwohl sie sicher war, sie würde zu dem Ergebnis gelangen, dass Ian ebenso wenig wie Tucker ein Serienmörder war, musste sie sich um ihrer Eltern willen Gewissheit verschaffen.
Sie holte wieder tief Atem, blies auf ihre Handflächen und beugte sich vor, um ihre Hände um Ians leeren Becher zu legen. Seine Energien waren schwächer als Tuckers, und ihr Herz stockte einen Moment lang, weil sie fürchtete, sie würde den Becher tatsächlich mit der ganzen Hand berühren müssen. Das würde sie weitaus tiefer vordringen lassen, als sie beabsichtigte. Sie brachte
ihre Handflächen behutsam näher an den Becher, bis sie ihn nur noch gerade eben so nicht berührten. Dann erst nahm sie die Energien auf, und Eindrücke rasten durch ihren Kopf.
Ebenso wie Tucker machte sich auch Ian Sorgen um seine Einheit, insbesondere um Kaden. Der gab anderen so gut wie nie persönliche Informationen, und Ian war sicher, dass viel mehr vorging, als Kaden ihnen sagte. Ian gefiel es nicht, dass er noch nie etwas von Tansy gehört hatte, und ihm behagte auch nicht, dass er das Gefühl hatte, sie sei eines der »verlorenen« Mädchen; das würde nämlich bedeuten, dass Whitney Jagd auf sie machen würde.
Bei diesem Gedanken erschauderte sie. Sie zwang sich, tiefer einzusteigen, um einen genaueren Eindruck zu gewinnen, weil sie es hinter sich bringen wollte. Er war kein Mörder, aber er hatte mit Gewissheit Menschen getötet. Wieder sah sie Kaden, diesmal im Dschungelkampfanzug. Das Team saß in
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