Magma
wie ein Eispalast.
Früher hatten sie das Radioteleskop nur spärlich beleuchtet, um die ohnehin gewaltigen Stromrechnungen niedrig zu halten. Doch seit Effelsberg ins Zentrum des Medieninteresses gerückt war, waren die kostspieligen Halogenstrahler die ganze Nacht im Einsatz.
Fast täglich kamen Kamerateams aus aller Welt, um den Ort zu filmen, von dem aus die sensationelle Entdeckung gemacht wurde – und natürlich, um die Personen zu interviewen, die live mit dabei gewesen waren, als Beteigeuze explodierte. Das Interesse war enorm, nicht zuletzt deshalb, weil die Supernova die Nächte der nächsten Wochen mit ihrem bläulichen Licht erhellen würde. Seit der totalen Sonnenfinsternis vom 11 . August 1999 hatte kein astronomisches Ereignis die Öffentlichkeit so in ihren Bann geschlagen. Die Fernsehprogramme waren angefüllt mit Dokumentationen, Liveschaltungen und Sonderberichten. Astrologen und andere Scharlatane erfreuten sich eines ebenso regen Kundeninteresses wie Händler und Verkäufer, die Ferngläser und Teleskope in exponentiell steigenden Stückzahlen über die Ladentische schoben. Weltweit war die Supernova
das
Thema. Besonders die Boulevardpresse stürzte sich darauf, wobei die Berichte nur so vor haarsträubenden Fehlern strotzten. Da wurden Planeten mit Sonnen verwechselt und Meteoriten mit Kometen. Letztendlich lief sowieso alles darauf hinaus, in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Prominente vor die Kameras zu zerren, die belanglose Kommentare absonderten und bei dieser Gelegenheit gleich ihre neuen Lebensgefährten vorstellten. Was das Ganze mit Astronomie zu tun hatte, das wusste der Himmel.
Jan seufzte. Sie kam mit der Auswertung der Daten von Beteigeuze einfach nicht weiter. Die Ausdrucke waren zu einem regelrechten Berg angewachsen und es würde Wochen, wenn nicht gar Monate brauchen, sie auszuwerten. Ein Glück, dass Marten ihr den Rücken freihielt. Im Gegensatz zu ihr genoss er das öffentliche Interesse. Er liebte es, vor der Kamera zu stehen. Dass er fortwährend über sein Lieblingsthema plaudern durfte und dafür auch noch gut bezahlt wurde, machte die Sache für ihn doppelt attraktiv. Abgesehen von den kurzen, aber hektischen Minuten, in denen er Kamerateams durch die Zentrale führte, hatte sie ihn seit Tagen kaum zu Gesicht bekommen.
Heute war es vergleichsweise ruhig gewesen. Der erste Hype war abgeklungen und alle gingen wieder in Ruhe ihrer gewohnten Arbeit nach. Trotzdem hatte Jan sich die Nachtstunden ausgesucht, um sich noch intensiver mit den Ausdrucken befassen zu können.
Die Seiten waren von oben bis unten mit kryptischen Zeichen bedeckt. Jeder andere hätte sich mit Grausen abgewandt, doch Jan gehörte zu der Sorte Mensch, die Zeichen und Spuren liebte. Je verworrener und schwieriger, desto lieber. Schon in der Schule war sie dadurch aufgefallen, dass sie und ihre Freundin im Unterricht verschlüsselte Nachrichten austauschten, die niemand zu knacken vermochte. Nicht einmal ihr Mathematiklehrer, der eigentlich etwas von der Sache verstehen sollte. Der Trick war gewesen, dass sie mit täglich wechselnden Codes arbeiteten, die Jan mit ihrem Taschenrechner erzeugte. Die Nachrichten selbst waren belanglos. In ihnen ging es um Lehrer, um Eltern, den täglichen Schulstress und natürlich um Jungs. Doch die Tatsache, dass niemand außer ihnen die Nachrichten lesen konnte, machte den Inhalt für Außenstehende interessant. Nein, mehr als interessant,
Aufsehen erregend
. Die chiffrierten Nachrichten hatten eine solche Wichtigkeit bekommen, dass ein Elternabend einberufen worden war, um die Interessen der beiden Mädchen wieder in geregelte Bahnen zu lenken. Eltern und Lehrer waren sich gleichermaßen einig gewesen, dass ihre intensive Beschäftigung mit fehlgeleiteter Mathematik unziemlich war. Derlei Ablenkung vom Unterricht habe an dieser Schule keinen Platz, hieß es. Was natürlich lächerlich war, gehörten die beiden doch zu den besten Schülerinnen ihrer Jahrgangsstufe. Doch ihr Interesse an Geheimschriften war damit vorerst gestillt. Es flackerte erst wieder auf, als sie sich für das Fach Astrophysik in Bonn einschrieb. Hier gab es einen eigenen Studienzweig, der sich ausschließlich mit der Deutung und Analyse von Signalen aus dem All befasste. Signale, die bei der Explosion von Sternen entstehen konnten oder ihren Ursprung in Pulsaren oder Quasaren hatten. Objekten, die unvorstellbare Energien ins All schleuderten und vom Anfang der Zeit und vom Beginn der
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