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Magna Mater - Roman

Magna Mater - Roman

Titel: Magna Mater - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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schwarzen Meerschaum, der bis zur Türhöhe am Mauerwerk klebte, ließ sich ablesen, wie hoch die Flut gestiegen war. Zweifellos hatte die untere Etage des Haupthauses unter Wasser gestanden.
    Ich warf Anker und watete an Land. Niemand empfing mich. Kein Mensch war zu sehen. Das Eiland des werdenden Lebens hatte sich in eine Toteninsel verwandelt. Versiegt war die lebendige Quelle des immerwährenden Generationsflusses.
    Ich stieg über Korallinscherben, klebrig von schwarzem Schlamm. Kleidungsstücke, verstreutes Küchengeschirr deuteten darauf hin, dass die Räume fluchtartig verlassen worden waren. Vermutlich waren alle Säuglinge umgekommen. Doch was war mit den Kleinkindern im Obergeschoss geschehen?
    Auf dem Rückweg zum Boot hörte ich Hundegebell. Es kam von der höher gelegenen Seite der Bucht. Dort fand ich den kleinen Terrier, der mich bei der Ankunft immer am Steg begrüßt hatte. Er kam mir schwanzwedelnd entgegengesprungen und führte mich zu einer Hütte aus Palmblättern, in der er mit kläglichem Gewinsel verschwand.
    »Ist da wer?«
    Da niemand antwortete, schob ich die Blätter beiseite und blickte auf eine Frau. Sie lag da wie eine Tote. Als ich mich niederkniete, um ihren Puls zu fühlen, fuhr sie aus dem Schlaf. Die Augen voller Angst, machte sie den Eindruck eines Menschen, dem Schlimmes widerfahren war.
    »Tote, überall Tote«, stammelte sie.
    »Was ist mit den Kindern geschehen?«
    »Tot, alle tot, bis auf meins.« Und dabei begann sie zu lachen. Sie hatte ganz offensichtlich den Verstand verloren, wollte wieder zurück in ihre Laubhütte, um sich dort wie ein verwundetes Tier zu verkriechen. Als ich sie daran hindern wollte, schrie sie: »Lass mich! Ich will zu meinem Kind. Hörst du? Es ruft mich.«
    Sie verschwand in ihrem Unterschlupf, und als sie zurückkehrte, trug sie ein Wäschebündel im Arm, das sie fest an sich drückte. Affenmütter umklammern so ihre Jungen. Während sie das Bündel liebevoll wiegte, schien es, als erwachte sein Inhalt zum Leben. Bewegte sich da nicht ein Fuß, eine Hand? Ich wollte danach greifen, aber sie entriss es mir so hastig, dass der kleine Hund nach mir schnappte, weil er glaubte, ich wollte seiner Herrin etwas antun. Sein Gebell weckte das Kind. Es begann zu weinen.
    Ein kleiner Kopf wurde entblößt. Ein Paar Kinderaugen blickten mich an.
    Sie waren jakarandablau.

20. KAPITEL
    D as ist die wahre Geschichte eines unglaublichen Wunders, von dem man noch in hundert Jahren sprechen wird.
    Als der Tsunami die Kinderstation erreichte, befand sich Mater Momo, die an jenem Morgen die Kleinkinder betreute, im oberen Stockwerk der Station. Erschrocken vernahm sie das Donnern der heranrollenden Flut. Sie wollte die Treppe hinabeilen und stellte mit Entsetzen fest, dass auch diese davongespült worden war. Sie lief zum Fenster, rief um Hilfe, aber da war niemand mehr, der ihr zu helfen vermocht hätte.
    Dort, wo vor wenigen Minuten noch Häuser gestanden hatten, trieben jetzt hölzerne Dachziegel, Korallinstühle und Bettlaken auf schäumendem Schlammwasser. Wie ein Moloch war das Meer an Land gestiegen, um alles zu verschlingen, was sich ihm in den Weg stellte.
    Aus der brodelnden Sintflut erhob sich das Dach der Säuglingsstation wie ein vor Anker liegendes Schiff. Aber schon quoll das Wasser durch die Fugen der Fußbodendielen. Wie lange würde das Mauerwerk dem ungeheuren Druck der Wassermassen widerstehen können?
    In dieser verzweifelten Lage wusste sich die junge Ordensschwester keinen anderen Rat, als die von der Decke herabhängenden Körbe abzuketten, um die Kinder darin festzuschnallen. Eingewickelt in Windelstoff, lagen sie darin wie der junge Moses, bevor er im Nil ausgesetzt wurde. Sie hatte erst einen geringen Teil ihrer Schützlinge versorgt, als der Boden unter ihren Füßen schwankte wie bei einem Erdbeben, bis das ganze Gebäude mit donnerartigem Getöse einstürzte. Wen Dach und Wände nicht erschlugen, den schwemmte die Flut davon.
    Als die junge Ordensschwester aus ihrer Ohnmacht erwachte, trieb sie mit blutender Stirn auf einer aus den Angeln gerissenen Tür. Ein herabstürzender Dachbalken hatte sie am Kopf getroffen.
    Wo waren die Kinder? Gab es Überlebende?
    Dem Sonnenstand nach zu urteilen, konnte sie nicht lange bewusstlos gewesen sein. Sie erkannte in Rufweite die Umrisse der Insel. Die Strömung hatte sie also nicht weit fortgeschwemmt. Wenn es Überlebende gab, dann mussten sie hier irgendwo auf dem Wasser treiben. Das galt

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