Magnolia Steel – Hexennebel
aus der Hand. Schnell hob Goldemar es auf und steckte es zu dem Parfüm in ihren Rucksack. Der Graf applaudierte leise. »Gut gemacht«, sagte er anerkennend.
Magnolia sprang auf. Sie wollte weg. Bloß weg! Und diesmal hielt sie niemand auf. Sie sprintete die Treppe hoch und stürzte zu ihrem Fahrrad. Wie von Furien gehetzt, raste sie nach Hause. Tante Linette war ihre einzige Hoffnung. Nur sie konnte ihr helfen. Wenn sie doch bloß schon zu Hause wäre. Atemlos warf Magnolia ihr Rad in die Brombeerhecke und stürmte ins Haus.
»Tante Linette!«, schrie sie. »Tante Linette!« Tränen liefen ihr über die Wangen. Keine Antwort. Sie war noch immer allein. Selbst Serpentina, die sie sonst immer begrüßen kam, machte plötzlich einen Bogen um sie. Noch nie hatte sie sich so verlassen gefühlt. Und dann setzten auch schon wieder die Kopfschmerzen ein.
Magnolia stand völlig neben sich. Sie ging in ihren Turm hinauf und warf sich auf das Bett. Sie fühlte sich krank und müde. Die Kopfschmerzen wurden immer stärker, und inzwischen tat ihr auch der restliche Körper weh. Verzweifelt griff sie nach dem Parfüm. Der Schmerz ließ nach, sowie die Tropfen ihre Haut berührten, und sie war wieder in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Was konnte sie tun? Oder besser, wie konnte sie sich selbst davon abhalten, Leander in eine Falle zu locken? Vielleicht konnte sie sich mit Tante Linettes »Gute-Träume-Trunk« so stark betäuben, dass sie das Treffen einfach verschlief? Odersie konnte Jeppe um Hilfe bitten. Die Frage war nur wie, wenn sie die richtigen Worte nicht aussprechen konnte?
Magnolia beschloss, sich auf dem Klo einzuschließen und den Schlüssel einfach aus dem Fenster zu werfen. Unter keinen Umständen durfte es zu einem Treffen zwischen ihr und Leander kommen. Es war zum Verzweifeln. Sich auf dem Klo einzuschließen war nicht das Problem. Nur den verdammten Schlüssel, den wurde sie nicht los. Ihre Hand weigerte sich, ihn herzugeben. Sie konnte ihn weder aus dem Fenster werfen noch in der Toilette herunterspülen. Magnolia setzte sich auf den Klodeckel und weinte. Sie hatte ziemlich lange so dagesessen, als es plötzlich an die Tür klopfte.
»He, kommst du da auch irgendwann wieder raus?«
Gestern noch hätte sich Magnolia darüber aufgeregt, nicht mal auf dem Klo vor dem Kobold sicher zu sein. Jetzt war es tröstlich, seine Stimme zu hören. Sie stand auf und öffnete die Tür. Vorsichtshalber machte Jeppe einen Sprung zurück und sah sie forschend an. »Hast du geheult?«
Magnolia versuchte es mit Telepathie. Sie sah dem Kobold fest in die Augen und versuchte, sich zu konzentrieren. Es war zwecklos. Ihr Kopf war so leer wie eine Kokosnuss. Den einzigen Gedanken, der noch darin war, sprach sie aus.
»Ich habe die vierte Fünf in Mathe.« Magnolia schickte einen verzweifelten Blick hinterher. Jeppe musste doch etwas merken. Er kannte sie und musste wissen, dass sie wegen schlechter Noten niemals in Tränen ausbrach.
Doch Jeppe schöpfte keinen Verdacht. »Ach so!«, sagte er. »Ist doch kein Grund, in Tränen auszubrechen. Linette wird dir den Kopf schon nicht abreißen. Weißt du, was mir mal passiert ist?« Magnolia hörte nicht zu. Sie hatte ganz plötzlich das Gefühl loszumüssen. Jetzt auf der Stelle. Wie ferngesteuert stand sie auf. »Ich muss los«, sagte sie. »Ich treffe mich gleich mit Leander.«
Sie rief ihren Besen, stieg auf und murmelte: »Nach oben hinaus und nirgends an. Zum Teufelsberg!« Das Unheil nahm seinen Lauf.
Während des Fluges klammerte sich Magnolia an Huckebein fest wie eine Ertrinkende an einem Stück Treibholz. Sie wusste genau, was geschehen würde. Wie ein Film, den sie bereits fünfmal gesehen hatte, lief die Szene vor ihrem inneren Auge ab.
Sie würden sich treffen. Sie würde Leander seinen Bogen abnehmen, und sie würden gemeinsam die Lichtung betreten, auf der der Dolmen stand. Eine uralte Grabstätte aus riesigen übereinanderliegenden Steinen. Sie würde Leander in Sicherheit wiegen und ihm im entscheidenden Moment einen so heftigen Stoß verpassen, dass er rückwärts hinfiel und Goldemar leichtes Spiel mit ihm hatte.
Viel zu schnell waren sie am Ziel. Huckebein senkte die Flughöhe und landete am Fuße des Teufelsberges, wo sich die Wege von Rauschwald und Wurmstadt kreuzten. Mit zitternden Beinen stieg Magnolia von ihrem Besen. Die Tannen, die hier ringsherum wuchsen, waren bestimmt hundert Jahre alt und hatten sicher schon eine ganze Menge erlebt. Von
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