Magnolia Steel - Städing, S: Magnolia Steel
Herrn kam noch eine hagere Frau mittleren Alters, die sich mit Hilfe der Tarotkarten die Zukunft deuten ließ, und der Müller von Rauschwald, Giesbert Mühlstein.
Herr Mühlstein war sicher, dass in seinem Apfelbaum eine Hexe hauste. Solange er ihr diesen Platz überließ, wollte sie sein Haus und die Mühle verschonen, klagte er.
»Petronella Appeldorn«, murmelte Tante Linette und riet dem Müller zu tun, was die Hexe von ihm verlangte. Das war das Allerletzte, was der Müller hören wollte. Böse stampfte er hinaus und schimpfte: »Eine Hexe kratzt der anderen kein Auge aus!«
Magnolia fühlte ihre Beine nicht mehr und war inzwischen sicher, dass sie abgestorben waren, da kam Tante Linette zurück. Diesmal ohne Besucher. »Nun zu dir, Magnolia«, sagte sie streng, »komm endlich hinter dem Vorhang raus.«
Im ersten Moment konnte Magnolia nicht wirklich glauben, dass sie gemeint war. Aber dann trat sie mit hochrotem Kopf hervor. Natürlich war jetzt wieder eine Entschuldigung fällig. Trotzdem rebellierte es in ihr. Das war so eine Gemeinheit. Ihr starben hinter demVorhang die Beine ab und Tante Linette hatte es die ganze Zeit gewusst.
»Selber Schuld«, schnaubte Tante Linette.
Hoppla, wurden jetzt ihre Gedanken gelesen oder hatte sie irgendetwas nicht mitbekommen?
»Es tut mit leid«, sagte sie zerknirscht. »Ich weiß, es war nicht richtig von mir und eigentlich wollte ich auch nicht lauschen, aber dann kamst du mit Christina herein und ich konnte nicht mehr weg.« Kleinlaut sah sie ihre Tante an.
»Gut«, sagte die, so als hätte sie einen Entschluss gefasst. Magnolia rutschte ihr Herz bis tief in die Hose.
»Es ist an der Zeit, deine Fragen zu beantworten. Du weißt inzwischen zu viel und sollst endlich die Wahrheit erfahren. Wir treffen uns um acht Uhr in der Wohnstube. Bis dahin bleibst du auf deinem Zimmer. Ich habe noch ein paar wichtige Vorbereitungen zu treffen.« Mit diesen mysteriösen Worten verließ Tante Linette den Raum.
Zehntes Kapitel
Reiner Wein
Magnolia stieg in ihren Turm. Die Gedanken wirbelten wie ein Tornado durch ihren Kopf. »Du weißt zu viel.« War das eine Drohung? »Du sollst endlich die Wahrheit erfahren.« Welche Wahrheit? Worüber? Bedeutete das, sie hatte recht, und ihre Tante war wirklich eine Hexe? Aber Hexen gab es doch nicht im richtigen Leben, oder doch? Ungeduldig setzte sie sich ans Fenster und starrte hinaus. Die Zeit war lang. Wie Sirup von einem Messer tropfte sie zu Boden, während Magnolia wartete.
Anders Linette. Die Zeit war knapp und es gab viel zu tun. Zuerst musste sie Jacko und ein paar Freunde informieren. Bei einem so wichtigen Gespräch konnte sie ihren Beistand gebrauchen. Außerdem musste Magnolia offiziell den Ältesten der Dorfgemeinschaft vorgestellt werden.
Schnell eilte Linette in den Garten, wo neben der Regentonne eine Staude Löwenzahn wuchs. Einem Botaniker wäre natürlich aufgefallen, dass die Staude außergewöhnlich hoch und die Pusteblumen, mit denen sie sich schmückte, nicht unbedingt in die Jahreszeit passten. Aber wer war schon Botaniker? Linette zupfte einen Sämling aus der Pusteblume, legte ihn auf ihre ausgestreckte Hand, wandte sich nach Norden und pustete ihn mit ihrer Botschaft in den Wind. Trotz des leichten Nieselregens stieg der Samen an seinem Fallschirmchen in die Luft, gewann rasch an Höhe und verschwand aus ihrem Blick.
Jetzt folgte der nächste, womöglich wichtigste Schritt.
Linette musste das Haus vor etwaigen, unerwünschten Zuhörern schützen. Sie waren nah, das hatte der Gestank im roten Zimmer heute Nachmittag deutlich gezeigt. Im Wald schnitt sie Bärlapp, eine moosige unscheinbare Pflanze, und verstopfte damit die Ritzen der Fenster und Türen. Dann band sie Sträußchen aus sieben zauberkräftigen Pflanzen. Johanniskraut, Majoran, Eisenkraut, Klee, Holunder, Weißdorn und Wacholder kamen in die Sträuße, die sie vor die Türen hängte. Zu guter Letzt belegte Linette das Haus mit einem Bannspruch. Wer auch immer näher als drei Meter herankam, würde kleben bleiben, wie eine Fliege an einem Fliegenfänger.
Im Innern des Hauses verriegelte sie sämtliche Türen, zündete die Petroleumlampen an und zog die Vorhänge zu. Mit einem Fingerschnipsen entzündete sie das Feuer im Kaminofen und kochte anschließend eine große Kanne Tee. Dann setzte Linette sich in ihren Ohrensessel und schnaufte noch einmal kräftig durch.
Es war die längste Zeit ihres Lebens. Magnolia hatte aus dem Fenster gesehen,
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