Magnolia Steel - Städing, S: Magnolia Steel
achtundzwanzig Tage warten, bis sich erneut die Gelegenheit bot.
Also warf Linette ihren schwarzen Umhang über die Schultern, verstaute sorgfältig den sichelförmigen Dolch und griff nach ihrem Besen. Sie musste weite Strecken zurücklegen und ohne ihren Besen ließen sich solche Entfernungen nicht bewältigen.
Ein freudiger Schauer rieselte durch ihre Adern, als sie vor die Tür trat, und alle Müdigkeit fiel von ihr ab. Ein Jahrtausende altes Erbe erwachte. Die Hexe ging auf die Jagd.
Tief atmete Linette die klare Nachtluft ein, grüßte Eule und Fledermaus, die Geschöpfe der Nacht, und begann im gespenstischen Licht des Mondes ihren Streifzug durch das Land. Sie ließ sich leiten von ihrem sicheren Instinkt, bis sie Bitterling und Natternwurz fand. Nun hieß es auf der Hut sein, nichts durfte sie stören, denn der Augenblick, in dem eine Pflanze geschnitten wurde, stellte den ersten unwiderruflichen Schritt in einem Zauberritual dar.
Sie lauschte und erst als sie ganz sicher war, dass keine Störung drohte, schnitt sie die Pflanzen. Anschließend kniete sie nieder und goss ein Trankopfer aus Honig über dem Boden aus. Dabei murmelte sie einen Dank aus heidnischen Zeiten.
»Oh, Mutter Erde, oh, Kräuter. Euch grüße ich, wie Göttinnen, und sage Dank für die Kraft, die Ihr mir gebt, meine Aufgabe zu erfüllen.«
Eine Weile verharrte sie auf ihren Knien und bereitete sich vor, die gefährlichste Zutat für ihren Zaubertrank zu beschaffen. Das Blut eines lebenden Basilisken.
Halb Schlange, halb Hahn, ausgebrütet und geschlüpft aus einem Krötenei. Sein Blick und sein Atem brachten den Tod.
Für die Menschen, diese einfältigen Wesen, gehörte er ins Reich der Fabeln. Sie wollten nichts wissen von Dingen, die sie ängstigten. Trotzdem gab es Basilisken, seit Millionen von Jahren bevölkerten sie die Erde. Sie waren auf allen Kontinenten zu Hause und hatten ein Recht dort zu sein. Einer von ihnen hauste in den Gewölben der alten Abtei, mitten im Meer.
Linette war sich der Gefahr bewusst. Es war ihr schon einmal gelungen, den Basilisken zu überlisten. Ihr letztes Duell lag jedoch fünf Jahre zurück und sie konnte nur hoffen, ihn noch immer auf der Insel anzutreffen. Sie bestieg ihren Besen.
»Nach oben hinaus und nirgends an«, flüsterte sie und stieß sich leicht vom Boden ab. Senkrecht stieg sie in die Luft. Wie eine geübte Reiterin brachte sie ihren Besen in die gewünschte Richtung, trieb ihn mit leichtem Schenkeldruck an und preschte dicht über den Baumwipfeln davon.
Linette hatte keine Angst gesehen zu werden. Die Menschen waren zu aufgeklärt und zu vernünftig, um an Hexen zu glauben.
Wer in dieser Nacht zu den Sternen aufsah und ihre verräterische Silhouette vor dem Vollmond entdeckte, würde sich einreden, eine besonders große Eule zu sehen.
Lautlos glitt sie über die schwarzen Wälder und blanken Seen. Allmählich wurde die Luft kühler. Wind kam auf und brachte den Geschmack nach Salz mit sich. Gleich war sie am Ziel.
Linette überflog die letzten Klippen und brauste über das dunkle Meer. Sie wurde beinah übermütig, so sehr genoss sie diesen Ritt.
Nur zum Vergnügen ging sie in den Sturzflug und erschreckte ein Rudel Tümmler, die in den Wellen tanzten. Dicht über dem Wasser schoss sie auf das Stück Land zu, das so mutig dem Meer trotzte und dabei ein tödliches Geheimnis hütete.
»Die Insel ist verflucht«, erzählten die Fischer in den Küstendörfern.
Die Erinnerung war noch zu frisch, als dass man sie schon vergessen hätte. Vor hundert Jahren war die Abtei ein aktives Kloster gewesen. Die Menschen fuhren in ihren Booten über das Meer und baten die Mönche um Rat bei mancherlei Problemen. Und die Mönche besuchten ihrerseits das Festland, um Gemüse und Obst aus ihren Klostergärten zu verkaufen. Bis von einem Tag auf den anderen der Schrecken Einzug in den Mauern der alten Abtei hielt.
Alle fünfundzwanzig Brüder starben und niemand konnte sagen, warum. Manche Mönche verschwanden spurlos, andere fand man tot in ihren Zellen, mit vor Schreck verzerrten Gesichtern.
Es war schrecklich und das Gerücht von einer großen Sünde, welche die Mönche begangen hätten, machte die Runde. Man munkelte, der Teufel persönlich würde auf der Insel hausen.
Nun, Linette kannte den wahren Grund für das Sterben der armen Mönche und während sie die Abtei anflog, war er ihr nur zu gut bewusst. Ein Basilisk war vor hundert Jahren über das Meer gekommen und hatte sich in den
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