Magnolia Steel - Städing, S: Magnolia Steel
»Also bringt mir, wonach ich verlange, und ich werde es nicht wieder tun. Übrigens gilt nach wie vor: Für jeden gefangenen Zwerg bekommt ihr die Hälfte seines Silbers. Für jeden gefangenen Kobold gibt es die Hälfte seines Goldes, damit sollte jeder …«
Ein Norgenkrieger in Linettes unmittelbarer Nähe sog plötzlich zischend die Luft ein und stieß seinen Nachbarn in die Rippen. Er deutete auf den Wandteppich, hinter dem Linette sich versteckt hielt. Die beiden Norgen wechselten knurrende Laute und ließen den Teppich nicht mehr aus den Augen.
Linette verhielt sich im wahrsten Sinne des Wortes »mucksmäuschenstill«. Es war unmöglich, die beiden Norgen konnten sie nicht enttarnt haben.
Doch dann waren wieder diese knurrenden Laute zu hören, deren Bedeutung Linette nicht verstand. Im selben Moment fuhr die blanke Klinge eines Kurzschwertes hinter den Wandteppich. Sie verfehlte Linette nur um Haaresbreite und kappte stattdessen ein Stück ihrer Schwanzspitze. Linette schrie auf und stürzte Hals über Kopf aus ihrem Versteck, hinaus auf den dunklen Korridor. Man hatte sie entdeckt.
Der Saal war in Aufruhr. Ein paar Mal fiel das Wort Spion und über allem schwebte die hohe Stimme des Grafen, der schrie: »Ich will ihn lebend!«
Jetzt kam es auf Sekunden an. Sekunden, die über Leben und Tod entschieden. Wenn die Schattenkrieger erst einmal ihre Gestalt ahnten, war sie verloren.
Linette floh die Treppe hinunter. Ihr Mäuseherz klopfte zum Zerspringen. Schon fühlte sie den Angriff fremder Gedanken, die versuchten, in ihr Gehirn einzudringen, um ihre Flucht zu vereiteln.Doch Linette war eine erfahrene Hexe. Sie verstand es perfekt, ihre Gedanken gegen fremde Angriffe zu blockieren.
»Es ist eine Hexe oder ein Magier! Bringt es mir!«, fistelte die Stimme des Grafen, diesmal so nah, als stünde Linette direkt vor seinem Thron.
Linette rannte, wie sie noch nie in ihrem Leben gerannt war. Gleich hatte sie es geschafft, sie sah den Brunnen schon vor sich – da schloss sich eine haarige Faust um ihren mageren Körper und schnürte ihr die Luft ab.
War das ihr Ende? Alles umsonst? Zu hoch gespielt und verloren?
Triumphierend wurde sie in die Luft gerissen und geschüttelt. Wie durch Watte hörte sie das beifällige Grölen der nachfolgenden Norgen, die ihren Freund zu seinem Fang beglückwünschten.
Der Sauerstoff wurde knapp, Linette blieb nur noch wenig Zeit, um zu handeln. Mit aller Kraft schlug sie ihre harten Nagezähne in die Hand ihres Gegners. Der Biss war tief und schmerzhaft. Wütend jaulte der Norge auf, schüttelte die schmerzende Hand und schleuderte Linette in hohem Bogen über den Flur. Sie prallte gegen eine Wand und rutschte benommen zu Boden.
Die Norgen heulten auf und stürzten wie eine Koppel Bluthunde hinterher. Kurz bevor sie sie erreichten, rappelte Linette sich auf. Bloß nicht aufgeben. Bis zum Brunnen waren es nur noch wenige Meter. Sie flitzte los und stürzte sich mit einem gewaltigen Sprung kopfüber hinein.
Einen Wimpernschlag später zeigten sich die ersten, geifernden Norgenköpfe am Brunnenschacht. Unschlüssig, ob sie hinterherspringen oder den Zorn ihres Meisters ertragen sollten.
Linette fiel ins Bodenlose und hoffte inständig, dass der Brunnen nicht ausgetrocknet war. Einen Sturz aus solcher Höhe würde sie wohl kaum überleben.
Es platschte und schwarzes Wasser schlug über ihrem Kopfzusammen. Die kleine Maus strampelte verbissen, um wieder an die Oberfläche zu gelangen, und zog sich mit letzter Kraft auf einen vorspringenden Mauerstein. Ihr Atem raste und ihr verletzter Schwanz brannte wie Feuer. Linette wartete ein wenig, bis sich ihr Atem wieder beruhigt hatte, und kletterte dann an dem rauen Mauerwerk hoch bis zum Stollendurchbruch.
Zurück im Stollen schickte sie drei »Abrakadabra« zum Himmel und schleppte sich durch das Geröll bis zu der Stelle, an der ihre Kleidung auf dem Boden lag. Sie bemühte sich, dabei kein Geräusch zu machen, denn hinter der nächsten Biegung schimmerte Licht und Linette wusste, dass Jacko und die anderen dort auf sie warteten. Sie wollte ihnen in menschlicher Gestalt entgegentreten und nicht als nasse, ramponierte Maus.
Linette kroch unter ihren Kleiderberg und flüsterte abermals Hexenworte aus vergangener Zeit. Augenblicklich setzte die Rückverwandlung ein. Es schnurrte und britzelte, Funken sprühten und schon hatte sie ihre menschliche Gestalt zurück. Die Rückverwandlung war wesentlich angenehmer als die Verwandlung
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